Bewertung und Kritik zu
FEELING FAUST
nach Johann Wolfgang Goethes Faust I & II
Regie: Claudia Bossard
Premiere: 28. Oktober 2022
Münchner Volkstheater
Zum Inhalt: Heinrich, mir graut vor dir, sagt Gretchen am Ende von Goethes Faust I. Zurecht! Schließlich hinterlässt der Wissenschaftler Faust alleine im ersten Teil vier Leichen. Im zweiten Teil wird es nicht viel besser. Auf seinen Reisen gemeinsam mit Mephisto erobert er die globale Welt – er wird Kriegsherr, Kolonisator und Großunternehmer. Eigentlich ging die Wette Mephistos nur darum, dass Faust zum Augenblick sagen soll, verweile doch, du bist so schön. Irgendwie hat Faust da etwas verwechselt. Anstatt sich zu seinen Gefühlen und einem "Miteinander" zu bekennen, hat er sein Ego weiter aufpoliert. Nach der Kolonisation, zwei Weltkriegen und angesichts der Klimakrise und einer Weltwirtschaft, die Ungerechtigkeit erzeugt, präsentiert sich Goethes Faust vollkommen neuartig: Wir blicken gegenwärtig auf die Trümmer der Selbstermächtigungsgeschichte eines alten weißen Mannes. Die Krisen unserer Zeit sind als Krise der Männlichkeit lesbar. Revolutionen beginnen in der Phantasie – so hinterfragt Claudia Bossard in assoziativen Bildern den Mythos Faust und seine Geschlechterkonstruktionen.