Kritik
vier jahre ist es schon wieder her, dass michael thalheimer seinen güldenen tartuffe im rotierenden schaukasten entwarf (
http://www.livekritik.de/livekritiken/livekritik-von-frollainwunder-zu-t...). nach gorkis nachtasyl und schillers wallenstein kehrt er nun zu moliére zurück und beschäftigt sich mit dem eingebildet kranken. peter moltzen, den er gern und oft in seinem kreis besetzt, wälzt sich als hypochondrischer argan blähend und spuckend im rollstuhl, verspritzt tinkturen (und das ist ziemlich komisch). wir schauen wieder auf einen schaukasten, dieses mal weiß gekachelt und schwingend wie ein uhrenpendel. im hintergrund wallen zeitgemäße orgelklänge. thalheimer drückt sofort aufs regie-gas und die special slapstick bricht wieder überbordend aus. das publikum amüsiert sich reihenweise (warum auch immer konnten sich die kritiker wieder mal nicht begeistern, herrje). regine zimmermann war schon zerbrechliche gattin in tartuffe und ist heute als augenrollende hausdame besetzt. mit spitzen fingern darf sie u.a. die volle windel des hausherren entsorgen. kay bartholomäus schulze keifte warnend als verwandter in tartuffe und kriecht hier als irrer bruder argans über die kleine bühne. morbide eingeschnürt in plastik, gruslig wie der tod, faszinierend. als argans gattin stolziert jule böwe durch den kasten, völlig überzeugend, überspannt damenhaft nölend, anhänglichkeit vortäuschend und am ende überführt als gieriges weibchen. alina stiegler und iris becher sind die niedlichen töchterchen. ensemble-geist ulrich hoppe tänzelt als schlauer leibarzt herein, mit putzigem bärtchen, und hat renato schuch als seinen tourette-gestörten sohn thomas dabei (zum glück muss töchterchen angelique ihn nicht wirklich ehelichen). schwarzlocke renato bedient hier seine erste slapstick-nummer bravourös und kassiert viele lacher. urgestein felix römer, clanmutti aus tartuffe, ist im zweiten moliére als romantischer cleante besetzt, verliebt in töchterchen 1, angelique (alina). der tatsächliche altersunterschied schien bei moliére auch nicht zu interessieren. der knallbunte entwurf thalheimers zu moliéres letztem werk (und nachlass, der autor verstarb bei der vierten vorstellung als argan) ist ein groooßartiger theaterknallspaß. wo tartuffe sich der klerikalen schwere unterwerfen musste, kann beim kranken hausherren so richtig aufgedreht werden. in knallbunte barockkostüme gesteckt unterhält das hinreißende ensemble von der ersten bis zur letzten der volksnahen, turbulenten 105 minuten. peter moltzen als kompakter argan leitet den verrückten reigen extrovertiert aber auch verzweifelt an. wie überwindet man die angst vor einem elenden tod? mit thalheimer und diesem ensemble auf jeden fall tiefschwarzlustig.
das regie-(und intendanten-)karussell in berlin rotiert, michael thalheimer wird zum berliner ensemble wechseln, dafür wird murmelmurmel-könig herbert fritsch die schaubühne entern mit seinen verstrahlten entwürfen. ostermeiers gesamtkunstwerk hamlet mit prinz eidinger hat im nächsten jahr zehnjähriges jubiläum. es bleibt spannend.