Kaum eine Woche nach der eigentlichen Premiere war jetzt auf Arte die geringfügig zeitversetzte Live-Übertragung von Jürgen Flimms Neuinszenierung der Oper "Figaros Hochzeit" von Wolfgang Amadeus Mozart zu sehen. Das Werk mit dem Libretto von Lorenzo da Ponte hatte Mozart am 1. Mai 1786 im Wiener Burgtheater uraufgeführt.
Gepäckbeladene Touristen hasten während der Ouvertüre über eine Brücke entlang der Rampe und installieren sich dann mit quirligem Aufwand im Bühnenbild, das ein aus den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts stammendes Ferienhaus vorstellt. Kammerzofe Susanna ist Anna Prohaska:: Sofort fesselt ihre gut geführte lyrische Sopranstimme mit neckischem Charme und präziser Artikulation der italienischen Rezitative. Der Figaro von Lauri Vasar wirkt anfangs etwas etwas ungelenk, spielt sich aber mit seiner ersten Appellation an den "Signor Contino" frei. Signor Bartolo ist Otto Katzameier, die Marzellina singt Katharina Kammerloher. Der Orchesterklang wirkt zuerst etwas trocken und wenig atmosphärisch, was wohl auch der Saalakustik im Schillertheater zu danken ist. Marianne Crebassa gibt den Cherubino, der gleich in seiner ersten Arie seine bebende innere Unruhe überzeugend zu artikulieren und zu besingen weiss. Den Grafen Almaviva, dessen manische Neigung für das weibliche Geschlecht derjenigen von Don Giovanni verwandt ist. singt Hildebrando d' Archangelo, und sein einschmeichelnder, suggestiver Bass kommt in der intimen Ferienhaus-Akustik besonders gut zur Geltung. Don Basilio, Musikmeister der Gräfin, ist Florian Hoffmann.
Der Graf will den Pagen Cherubino los werden und delegiert ihn zum Militär, dem geeigneten Gegenwicht zu verliebter Tändelei am gräflichen Hof. Die Gräfin ist Dorothea Röschmann . Ihre herzbewegende erste Arie, in der sie sich die Liebe das Grafen zurückwünscht, gelingt eindringlich und mit feinem musikalischem Gespür. Die Gräfin klagt Susanna ihr Leid, und Kammerdiener Figaro heckt einen Plan aus, um dem Grafen einen Denkzettel zu verpassen und die Neigung zu dessen Gattin wieder zu beleben. Mit "voi qui sapete" ersingt sich der Page Cherubino den Preis für die schönste Stimme an diesem Abend, was der etwas schleppend einsetzende Szenenbeifall dann auch bestätigt.
Die Staatskapelle Berlin klingt unter der Stabführung von Gustavo Dudamel eher unspektakulär nach einem versierten Hoforchester, was aber ganz gut in den Rahmen von Jürgen Flimms Inszenierung eines Sommerspasses passt. Dudamel präsentiert einen etwas trockenen, aber zuverlässig durchgehaltenen Mozart, der durchaus auch Finesse und Schwung zu bieten vermag.
Nun platzt der Graf herein in der Absicht, seine Frau bei einem Rendezvous mit Cherubino zu ertappen. Er vermutet den vagabundierenden Jüngling in einem der riesigen Reisekoffer, aber nach Aussage der Gräfin war nur Susanna bei ihr. Cherubino entweicht in einem unbewachten Augenblick, und nun steckt wirklich nur Susanna im Schrank, und der Graf, der vor Wut schäumende Enthüller, muss sich mit dieser Aktion blamieren und am Ende bei seiner Frau um Entschuldigung bitten.. Urheber des fatalen Briefes, der den Grafen auf die nicht funktionierende Fährte setzte, war Figaro, dem der Graf nun Rache schwört.
Der Gärtner kommt herein und berichtet von einem Flüchtigen, der aus dem Fenster gesprungen sei und dabei die Nelken beschädigt habe. Figaro zieht sich den Schuh an, aber die spannend inszenierte Enthüllungsszene bringt nicht das gewünschte Ergebnis.
Nach der Pause ein großer Monolog des Grafen, den er mit Kraft und Leidenschaft gestaltet. Die zweite Arie der Gräfin: Dorothea Röschmann gibt ihr gleichfalls Sentiment und Engagement im Nachsinnen über ihre Situation. Peter Maus hat seinen komödiantischen Auftritt als Richter bei der Findung von Figaros bisher unbekannten Eltern, als die sich dann Marzelline und Bartolo bekennen. Nun solls eine Doppelhochzeit geben: für Figaro und Susanna wie für Figaros (bisher unverheirate) Eltern. Gräfin und Susanne formulieren in einem wirklich bezaubernden Dialog einen Brief , der den Grafen zu einem Verwechselungs-Rendezvous in den nächtlichen Garten locken soll. Bauernmädchen bringen Blumen, unter ihnen der verkleidete Cherubino. Das Hochzeitszeremoniell. Dann eine hübsche Gavotte, mit Text unterlegt. Darauf lädt der Graf die Gäste zum Hochzeitsball.
Und schliesslich das Vexierspiel im Garten: Marzelline im Monolog mit hübsch erotisch anzüglichen Sentenzen über die Rollen der Geschlechter. Figaro setzt seine wenig schmeichelhafte Sicht auf die Frauen dagegen. Die rothaarige Susanna besingt ihr Warten auf den Geliebten: aus " Oh säume länger nicht" wird " Lass mich nicht warten" - schmucklos, aber sachgerecht. Eine Situation wie im "Sommernachtstraum": die Personen stolpern übereinander, Identitäten verschwimmen. Argwohn und Misstrauen regieren..
Bis zum verzeihenden, versöhnlichen Ausklang, der am Schluss Solisten, Chor, Orchester in den einhellig zustimmenden Publikumsapplaus einbindet.
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