Zum Inhalt: Der Krieg hat noch nicht begonnen, als der griechische Heerführer Agamemnon seine Tochter Iphigenie als Preis für göttlichen Seewind opfert. Nach Kriegsende wird Polyxena, die einzige noch lebende Jungfrau aus dem trojanischen Königshaus, als jugendfrisches Geschenk für blutige Heldentaten geschlachtet. Der sagenhafte trojanische Krieg, eingerahmt durch zwei Mädchenopfer, forderte in zehn Jahren erbitterter Kämpfe unzählige Tote. Am Ende wird ganz Troja durch eine feige List der griechischen Feinde in einer einzigen Nacht brutal vernichtet. Übrig bleiben die Beutefrauen, gequält durch den Verlust der Heimat, der Männer und der Kinder, vielfach erniedrigt durch Schändung am eigenen Leib. Schutzlos sind sie der Gewalt und Willkür der Sieger ausgeliefert. Ihre Peinigungen sind Kollateralschäden des Krieges, ihre Zukunft ist die Sklaverei. Vor rund 2500 Jahren mahnte Euripides pointiert-verspielt an, was bis heute einfache und entsetzliche Wahrheit ist: Der Krieg ist gegenwärtig und schafft unschuldige Opfer und erbarmungsloses Leid.
Mit Lena Schwarz, Carolin Conrad, Dagna Litzenberger Vinet, Hilke Altefrohne, Kate Strong, Isabelle Menke, Michael Neuenschwander, Christian Baumbach, Milian Zerzawy, Fritz Fenne
Regie: Karin Henkel Bühne: Muriel Gerstner Kostüme: Teresa Vergho Musik: Arvild J. Baud
Eindringliches Kammerspiel mit verschobener Perspektive
6 Jahre her.
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Kritik
Wann gab es bei Karin Henkel zuletzt so wenig zu lachen? Gravitätisch und schmerzbeladen schreitet Lena Schwarz als Hekabe über den Catwalk, den Muriel Gerstner in die Mitte des Zürcher Schiffbaus (bzw. der Rathenauhallen beim Theatertreffen-Gastspiel) gebaut hat.
Die Perspektivenverschiebung hin zum Leiden der Opfer ist keine neue Idee: Meisterhaft hat Christa Wolf in ihrer „Kassandra“ das mythische Heldenbild des Achill dekonstruiert, der konsequent nur „Achill, das Vieh“ genannt wurde. Die Frauen als Opfer von Vergewaltigungen und als Trophäen rückte auch Tina Lanik ins Zentrum ihrer „Troerinnen“-Inszenierung am Münchner Residenztheater (nach der Euripides-Bearbeitung von Sartre).
Das Bemerkenswerte ist die Intensität, mit der die nicht sonderlich komplexe Grundthese des Abends in eindrucksvollen Szenen entfaltet wird. Die Schauspielerinnen flüstern in ihre Mikroports, über die Kopfhörer kommt das Klagen und Flehen eindringlich bei den Zuhörern an.
Nach der Pause wird die gesamte Arena bespielt: Kate Strong wuselt zwischen den Feldherrn hin und her und stellt in ihrem markanten Denglisch kritische Fragen. Sie ist die Stimme der Vernunft, fragt nach dem Warum, regt sich über Agamemnons Entscheidung auf, Iphigenie in den Opfertod zu schicken, bekommt aber keine Antwort. Der Kreislauf der Gewalt geht weiter. Opfer sind beide Geschlechter: die fünf Iphigenien, die sich auf einer Drehbühne im chorischen Loop in den Tod fügen. Aber auch die männlichen Krieger, die loopartig ihre Angst vor Dunkelheit und Enge im Trojanischen Pferd wiederholen.
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''Die Männer kommen in dieser Inszenierung wahrlich nicht gut weg. Keiner ist so grausam wie Odysseus, niemand so schwach und opportunistisch wie Agamemnon, der sich am Ende selbst auf dem Präsentierteller dreht und mit Leidensmiene erklärt, warum er geradezu gezwungen ist, seine Tochter zu opfern. Wie dumm und machtgeil die Männer hier dargestellt werden, kann man durchaus bemängeln. Auch das Vorführen männlicher Täter und weiblicher Opfer gleicht einer Schwarz-weiß-Zeichnung. Doch so ist das nun einmal im Krieg: Frauen und Kinder sind die unschuldigen Leidtragenden.
Darüber hinaus ist es durchaus bemerkenswert, wie die Männer in der Schuld, die sie der Frau zuschreiben, ihr auch unermesslich viel Macht übertragen. Das Eifersuchtsdrama um Helena soll immerhin die Ursache des zehnjährigen Kriegs gewesen sein. Doch das mag die Geschichtsschreibung der Siegermächte sein, die an diesem Abend oft infrage gestellt wird. Immer wieder wird man dabei in den Anklage-Strudel gezogen, immer wieder entstehen kleine und größere Aha-Momente.'' schreibt Barbara Behrendt auf kulturradio.de
''Karin Henkel, die bereits mehrfach zum THEATERTREFFEN eingeladen und in diesem Jahr für herausragenden Verdienste um das deutschsprachige Theater mit dem Theaterpreis Berlin bedacht wurde, zeichnet ein düsteres Bild erlittener Kriegstraumata, das sie nach der Pause noch um das Vorspiel zum trojanischen Krieg ergänzt. Iphigenie in Aulis (ebenfalls nach Euripides und in moderner Fassung von Soeren Voima) erzählt die Geschichte der Opferung Iphigenies, um Göttin Artemis für guten Fahrtwind nach Troja günstig zu stimmen. Der anfänglich zaudernde Kriegsherr Agamemnon ergibt sich schließlich dem durch Populisten wie Odysseus aufgehetzten Volk. Mann ist hier um Erklärungen für den Krieg nicht verlegen. Die Wahrheit endet als eigentliches Opfer auf dem Altar des Nationalstolzes. Die Platte hat einen Knacks, doch die Stimme der Vernunft - gespielt von Kate Strong - dringt nicht mehr durch. Begleitet wird das durch Angstvisionen der im Inneren des Trojanischen Pferdes wartenden Griechen.
Henkel bemüht sich um psychologische Differenzierung der einzelnen Frauenfiguren, allein die pathetische Wucht des Leids, das einem natürlich auch nahe gehen soll, lässt das Gezeigte doch ziemlich gleich erscheinen. Wirkten die neun Iphigenies in dem für die Dercon-Volksbühne produzierten Castingshow-Stück [Iphigenie von Mohammad Al Attar und Omar Abusaada] in der Weite des Hangar 5 auf dem Flughafen Tempelhof doch sehr verloren, hat auch der Iphigenie-Chor von Karin Henkel im kammerspielartigen Ambiente der abgeteilten Rathenau-Hallen kaum mehr Gewicht. Ähnliches hat man auch schon von Henkels Regiekollegin Karin Beier zum Start ihrer Intendanz am Deutschen Schauspielhaus Hamburg gesehen. Die Rasenden umfasste einen immerhin 6,5stündigen Antiken-Querschnitt um den Trojanischen Krieg mit anschließender Orestie inklusive eben jener gezeigten Tragödienteile. Hier kann lediglich das Konzept der technischen Umsetzung überzeugen. Als Lehrstück über die Leiden von Frauen in Kriegsgebieten mag das exemplarisch sein, aber Frauen allein als leidende Opfer zu zeigen, das dachte man eigentlich künstlerisch schon ad acta gelegt.'' schreibt Stefan Bock am 10. Mai 2018 auf KULTURA-EXTRA