Regie: Sara Ostertag Premiere: 3. Dezember 2019 Kosmos Theater Wien
Zum Inhalt: Es herrscht Krieg. Um dem Bombenhagel zu entkommen bringt eine Mutter ihre Kinder – Zwillinge – aufs Land zur Großmutter. In komprimierter Sprache lässt die ungarische Autorin Ágota Kristóf die Zwillinge in einem großen Heft notieren, wie sie ohne Hoffnung auf Liebe und Mitgefühl ihre Werte und Handlungen der Grausamkeit ihrer Umgebung anpassen und durch Übungen zur Abhärtung des Geistes und des Körpers ihre eigenen Überlebensstrategien entwickeln. Historische, bereits begraben gemeinte Bilder werden zu Folien der Gegenwart, auf der Suche nach dem moralischen Zeitgeist.
Mit: Simon Dietersdorfer, Martin Hemmer, Jelena Popržan, Michèle Rohrbach, Martina Rösler, Jeanne Werner, Emma Wiederhold
Regie: Sara Ostertag Musik: Jelena Popržan Bühne: Nanna Neudeck Maske/Bodypainting: Nadja Hluchovsky Dramaturgie: Anita Buchart Choreografie: Martina Rösler Produktion: Julia Haas
Diese Inszenierung bringt für den Stream jedoch zwei Vorteile mit: Erstens setzt sie ganz auf den Text und die sprachliche Kraft der Vorlage von Ágota Kristóf, die in knappen Sätzen und schneidendem Ton vom Leidensweg der „Hundesöhne“ erzählt. Die Zwillinge wachsen mitten im Krieg bei ihrer Großmutter, einer boshaften Hexe, auf und sie tun alles, um ihre Gefühle zu unterdrücken und sich gegen den Schrecken abzuhärten. Der 80 Minuten kurze Abend ist ein Oratorium mit choreographischer Untermalung.
Zweitens funktioniert er auch deshalb als Stream einigermaßen gut, weil sich das Geschehen auf engem Raum in einer Art Sandkasten abspielt. Die Spieler*innen tragen Bodypainting-Kostüme und deklamieren den Text, der oft auch im Hintergrund über eine große Leinwand läuft. Die düsteren Textbrocken werden ironisch durch die „Ode an die Freude“ oder Pophymnen gebrochen, der Abend bleibt jedoch immer nah an seiner Roman-Vorlage. Häufig schwenkt die Kamera zu Jelena Popržan, die am Bühnenrand Alltagsgegenständen Geräusche entlockt und Wortfetzen der Spieler*innen einspricht und loopt.
„Das große Heft“ ist eine konzentrierte, kleine Version des deprimierend-brutalen Stoffs, den zuletzt auch Ulrich Rasche in seiner wesentlich opulenteren und laustärkeren, zum Theatertreffen 2019 eingeladenen Dresdner Inszenierung auf die Bühne brachte. Bei weitem nicht so spektaktulär, aber eine solide Off-Theater-Inszenierung.
Komplette Kritik