Zum Inhalt: Im Auftrag des Burgtheaters hat der vielfach preisgekrönte österreichische Dramatiker Ferdinand Schmalz das Spiel vom Sterben des reichen Mannes für das 21. Jahrhundert über-, fort- und neugeschrieben. Er nimmt dem Text seinen fast schon liturgischen Charakter, spitzt die Dramaturgie des Originals zu, schärft die Konflikte, schraubt lustvoll an Sprache und Versmaß, bricht altertümelnde Klischees auf und erneuert die Ikonografie. So sind die Figuren nicht länger entrückter Teil einer christlichen Devotionalienschau, sondern gehen uns ganz direkt an. Der neue Jedermann ist kein „prächtiger Schwelger“, wie ihn der Teufel bei Hofmannsthal einmal nennt, vielmehr ein knallharter Geschäftsmann, den es nicht anficht, dass draußen vor seinem fest umzäunten Garten das Chaos tobt, das Kriegsrecht ausgerufen und mit Toten zu rechnen ist. Auch er wird den Weg allen Fleisches gehen, allerdings mit wenig Hoffnung auf das Himmelreich: „erlöst oder nicht, ist wirklich unerheblich“, Hauptsache, ein Sündenbock für unser schlechtes Gewissen ist gefunden …
Mit: Markus Hering, Katharina Lorenz, Elisabeth Augustin, Barbara Petritsch, Markus Meyer, Sebastian Wendelin, Oliver Stokowski, Mavie Hörbiger
Regie: Stefan Bachmann Bühnenbild: Olaf Altmann Kostüme: Esther Geremus Komposition und musikalische Leitung: Sven Kaiser Choreographie und Körperarbeit: Sabina Perry Licht: Friedrich Rom Dramaturgie: Hans Mrak Livemusik: Sven Kaiser, Béla Fischer
Das Auftragswerk oszilliert zwischen zwei sehr verschiedenen Stilen: Die betont artifiziell komponierten Verse imitieren Hofmannsthals Mysterienspiel und ironisieren die weihevolle Atmosphäre des Originals. Uraufführungsregisseur Stefan Bachmann verstärkt diesen Effekt dadurch, dass er einige Textstellen als Oratorium singen lässt. Den Gegenpol bilden die Passagen, die in zeitgenössischer Alltagssprache verfasst sind und die Welt der Hauptfigur mit modernen Begriffen beschreiben. Der „Jedermann 2.0“ ist Börsenspekulant, es wimmelt im Text dementsprechend nur so von Krediten und Zinsen. Markus Hering spielt ihn aalglatt, jovial, aber ebenso todgeweiht wie in Hofmannsthals Vorlage.
Der starke Text ist erst die halbe Miete für das Gelingen des Theaterabends. Dass die Uraufführung sehenswert ist, ist auch dem eindrucksvollen Bühnenbild und der überzeugenden Ensemble-Leistung zu verdanken. Olaf Altmann baute eine bei Bedarf kreisende Röhre, in der „jedermann“ zunächst wie in einer Schaltzentrale thront und auf die weniger Erfolgreichen herabschaut, später aber dann wie im Hamsterrad krabbelt und schließlich im schwarzen Nichts des Todes verschwindet.
Weiterlesen
''Der Wiener "Jedermann" ist mit den Burg-Schauspielern prominent besetzt: Mavie Hörbiger spielt den Mammon, Katharina Lorenz Jedermanns Frau und Markus Hering die Titelrolle. Allerdings bleiben sie alle unter ihren Möglichkeiten, wirken eher blass und kommen einem in ihren allegorischen Rollen nicht wirklich nah. Vor allem Markus Hering hätte als eiskalter Banker schärfer, brutaler sein dürfen, weniger brav.
In der zweiten Hälfte, wenn's ans Sterben geht, nimmt die Inszenierung dann aber deutlich an Fahrt auf. Auch der Stücktext wird hier böser, ironischer, frischer. Wie Hering zum gebrochenen, depressiven Todgeweihten mutiert und Barbara Petritsch als schwarze Gevatterin eine Predigt über das Sterben hält, das von unserer Geburtsstunde an in uns steckt, kann einen das Erschrecken über die eigene Endlichkeit doch auch anfassen.
In der Neudeutung von Ferdinand Schmalz und Stefan Bachmann bleibt das Theater ganz moralische Anstalt. Den dazugehörigen erhobenen Zeigefinger mag man befremdlich und altmodisch finden – nichtsdestotrotz ist diese bildstarke, musikalische Inszenierung in all ihrer Symbolhaftigkeit im positiven Sinne aus der Zeit gefallen. Als werde hier ein uraltes Märchen, ein Gleichnis aus der Bibel erzählt. Auf den deutschen Bühnen kann man dem Schmalzschen Text allerdings keinen allzu großen Erfolg prophezeien – dafür ist der "Jedermann" dann doch zu sehr an die österreichische Dramen-Tradition gebunden.'' schreibt Barbara Behrendt auf kulturradio.de
''Jedermann gibt hier ein Gartenfest. Den Garten säumt ein Zaun, der dem Hausherrn zunehmend durchlässiger scheint. Auch die Flüchtlingskrise ist in Österreich bekanntlich jedermanns Thema. Ein Fest in der Festung, bei dem Jedermann vom armen Nachbarn, den verschuldeten Vettern, Mammon, Tod und Teufel heimgesucht wird und vom Mammon eine Predigt gehalten bekommt, vom fickenden Geld, das sich erzeugt und für das das System selbst gut gefickt sein muss. Schmalz münzt hier die Worte von Benjamin Franklin ("Advice to a young tradesman") über die Zeugungskraft des Geldes und den Geist des Kapitalismus von Schuld und Schuldner um.
Dass dieser einst so potente Jedermann dann doch abtreten muss, wird hier auch zum Lehrstück über die Verdrängung des Tods aus der Gesellschaft. Das schafft mit seinen Aussagen zu Leben und Sterben müssen eine zusätzlich interessante philosophische Metaebene der Spiritualität ins Stück. Bachmann setzt dezent die Bilder dazu. Das Spiel vom Sterben wird nun zum kleinen Totentanz, bei der das Ensemble in Trauerstaat in Zeitlupe über die Bühne geht. Jedermann rennt im Hamsterrad des Lebens, das von Beginn an auch eins vom Sterben ist. Der Tod als letzte Sicherheit. Da wird’s ein bisserl besinnlicher, wenn Jedermann um Aufschub bittet und sich auch hier keiner finden will, der ihn begleitet. Der reiche Mann wird schließlich zum Sündenbock für das Gewissen der anderen.
Als Jesusfigur steht Markus Hering nackt vor der Wand, wenn seine Totenrede gehalten wird. Den frei gewordenen Platz füllen sofort neue Jedermänner und -frauen, die sich wie zu Beginn in der Röhre drängen. Auch wenn es manchem abgedroschen erscheinen mag, und sich einiges durchaus auch schärfer denken ließe, wie der Kapitalismus als alternativloser, nimmer enden wollender Kreislauf, bis morgen dann wieder ein anderer Jedermann stirbt, bis in alle Ewigkeit. Amen.'' schreibt Stefan Bock am 14. Juni 2018 auf KULTURA-EXTRA