Regie: Viktor Bodó Premiere: 24. Oktober 2020 Schauspiel Stuttgart
Zum Inhalt: Mehrere Gäste versammeln sich in einem großen Konferenzsaal. Erstaunlich ist, dass die Bediensteten die Flucht ergreifen, noch unerklärlicher, dass die Anwesenden, nachdem sie sich gesetzt haben, ihre Plätze nicht verlassen können. Eine unsichtbare Mauer hält diese Gesellschaft gefangen. Dann gibt es einen Stromausfall und Angst breitet sich aus. Nach und nach fallen die Schranken bürgerlicher Konventionen, es kommt zu verbalen Entgleisungen, Eifersuchtsszenen, körperlicher Gewalt, einer Schlacht aller gegen alle. Ein Mann stirbt, ein junges Paar begeht Selbstmord. Nach mehreren Tagen löst sich die seltsame Lähmung genauso unverhofft auf, wie sie aufgetreten ist. Durch offene Türen verlassen die Menschen ihr vermeintliches Gefängnis.
Mit: Gábor Biedermann, Therese Dörr, Sylvana Krappatsch, Anne-Marie Lux, Reinhard Mahlberg, Amina Merai, Peter Oscar Musinowski, Valentin Richter, Celina Rongen, Christiane Roßbach, Michael Stiller und Klaus von Heydenaber
Inszenierung: Viktor Bodó Bühne: Lili Izsák Kostüme: Fruzsina Nagy Musik: Klaus von Heydenaber Sounddesign: Gábor Keresztes Video: Vince Varga Licht: Jörg Schuchardt Dramaturgie: Anna Veress und Ingoh Brux Mitarbeit Übersetzung: Sandra Rétháti Mitarbeit Choreografie: Daura Hernández García
''Bodó verlegt die Handlung in einen Konferenzsaal mit Übersetzerkabine. Auf einer Riesenleinwand werden Merkel, Putin und Kim Jong-un zugeschaltet. Technische Pannen stören das Gespräch der Abgeordneten, die um einen die Bühne füllenden runden Tisch sitzen und zuvor wie in einem Filmvorspann über eine Erkennungskamera vorgestellt wurden. Wenn dieser Witz mehr als ausgereizt ist, lösen sich die Konferenzteilnehmer zu Figuren auf, die eher aus dem Arsenal von Alfred Jarry oder Roger Vitrac stammen als von Luis Buñuel. Wenn sie dann grotesk tanzen, rappen und singen und Grimassen schneiden wie Freaks, könnte man dem ja was abgewinnen, wenn man es in den vergangenen Jahren nicht, unabhängig vom Stoff, hundert Mal gesehen hätte. Immerhin erlebt man ein Ensemblespiel im strengen Sinn: Alle Darstellerinnen und Darsteller haben das gleiche Gewicht, es gibt keine Haupt- und Nebenfiguren.
In einer Schlüsselszene von Buñuels Film dringen ein Bär und drei Schafe über die unsichtbare Grenze in den Raum ein, in dem sich die Gesellschaft aufhält. In der letzten Einstellung des Films marschiert eine Schafherde in eine Kirche, die deren Besucher – eine Rekapitulation der eigentlichen Story – nicht verlassen können. Dafür gibt es in der Wirklichkeit von Corona keine Entsprechung. Auch Viktor Bodó fällt nichts ein, was dieses starke Filmbild auf der Bühne ersetzen könnte. Er lässt die Damen und Herren blökend von der Bühne laufen. Wer den Film nicht kennt, kann diese Episode nicht interpretieren. Danach sitzen die Herrschaften fressend am kreisenden Konferenztisch. Zu Richard Sandersons Dreams Are My Reality zelebrieren sie eine erotische Walpurgisnacht. (Wenn es schon ohne Schlager nicht sein darf: muss der Text wirklich so plump ausgebeutet werden?) Vielleicht wäre Jelineks Vorlage doch die bessere Wahl gewesen. Auch wenn es bei ihr nicht um unsere Gegenwart geht, sondern um einen Massenmord kurz vor Ende der nationalsozialistischen Herrschaft.'' schreibt Thomas Rothschild am 25. Oktober 2020 auf KULTURA-EXTRA