Regie: Zino Wey Premiere: 24. Januar 2020 Schauspiel Stuttgart
Zum Inhalt: Mit Woyzeckschrieb Georg Büchner mit gerade mal 23 Jahren einen dunklen, poetischen, bildgewaltigen und zutiefst berührenden Bühnentext, basierend auf realen, von Büchner genau recherchierten Fällen. Woyzeck ist der einfache Soldat, die naive Kreatur, die sich für ein paar Groschen zum Versuchsobjekt der Wissenschaft hergibt und seinen Körper für medizinische Experimente verkauft – bis so gut wie nichts mehr von ihm übrigbleibt, ihm jegliches Menschsein ausgetrieben wird. Im Existenzkampf gegen diese skrupellose und verkommene Gesellschaft, der jegliche Moral abhandengekommen ist, hat Woyzeck nie eine Chance gehabt und der eigenen Zerstörung nichts mehr entgegenzusetzen. Als seine Geliebte, Marie, dem tanzenden Tambourmajor verfällt und das Dunkel um sich greift, gibt es für Woyzeck kein Halten mehr. Der schwindelnde Abgrund reißt ihn – und was er liebt – mit sich fort. Mit Woyzeckhat der 23-jährige angehende Mediziner Georg Büchner einen sozialrevolutionären Text geschrieben, der unvollendet blieb. Als Vorläufer des modernen Dramas ist ihm eine Studie gelungen, die bis heute aktuelle Fragen diskutiert: Sind wir frei oder werden wir fremdbestimmt, wer oder was grenzt aus, bestimmt über die Zentren und die Ränder unsrer Gesellschaft?
Mit: Sylvana Krappatsch, Paula Skorupa, Matthias Leja, Sven Prietz, Sebastian Röhrle,Valentin Richter, Robert Rožić, Gabriele Hintermaier und der Kinderstatisterie
Inszenierung: Zino Wey Bühne: Davy van Gerven Kostüme: Veronika Schneider Musik: Max Kühn Licht: Rüdiger Benz Dramaturgie: Gwendolyne Melchinger
''Mit Realismus hat Wey nichts im Sinn. Sein Woyzeck kommt als eine Art Traumspiel daher. Die knapp eineinhalbstündige Stuttgarter Fassung verzichtet auf einige vertraute Szenen und wertet andere dafür auf. Von Anfang an steht und singt wenig kunstvoll und ohne Instrumentalbegleitung ein Mann im Glitzerhemd, mit roter Hose, Fellweste und weißem Hut am Bühnenrand. Es ist der Idiot, der bei Büchner nur eine marginale Rolle spielt. Er erzählt auch das Märchen, das Büchner der hier fehlenden Großmutter in den Mund legt. Wieder eine gestrichene Frauenrolle, zumal eine für eine ältere Schauspielerin. Akteure schieben, nach vorne gebeugt, Holzkisten mit Schalltrichtern auf die leere schwarze Bühne, in deren Hintergrund später ein Netz mit blinkenden farbigen Lämpchen herabhängt. Ein Panoptikum Büchnerscher Figuren nimmt Aufstellung wie in einem Kuriositätenkabinett. Dann kündigt der Marktschreier, der eine Marktschreierin ist, das „astronomische Pferd“ an.
Schlüsselszene Woyzeck und Hauptmann. Woyzeck rasiert dem Hauptmann, der Woyzeck zur Langsamkeit mahnt, nicht die Wangen, sondern eine Wunde am Oberschenkel, an dem er zunächst den Verband wechselt. So weit, so grauslich. Und was sagt uns das? Wenn man es nur wüsste! Am Schluss erwürgt Woyzeck mit den Händen und ohne Messer, aber mit verzerrtem Gesicht die untreue Marie. Heftiges Zittern kündigt den nahenden Wahnsinn an. Das Licht geht aus. Eines langen Tages Reise in die Nacht. Und wir haben immer noch nicht erfahren, warum Woyzeck eine Frau sein musste. Das wäre doch etwas für Sylvana Krappatsch: Die Mary Tyrone. Von Eugene O´Neill. Die ist schon beim Autor eine Frau. In Stuttgart wurde sie von einem Mann gespielt.'' schreibt Thomas Rothschild am 14. Februar 2020 auf KULTURA-EXTRA