Regie: Kirill Serebrennikov Premiere: 16. August 2025 (Perner-Insel, Hallein) Salzburger Festspiele Deutschland-Premiere: 12. September 2025 (Übernahme ins Repertoire) Düsseldorfer Schauspielhaus
Zum Inhalt: Nach seinem Titel gefragt, gibt der Autor eine Antwort, die in die Zukunft führt. „Ich liebe den Schnee. Der Schnee bedeckt die Erde und alles wird schön. Da sind die Verwerfungen, all die Widersprüche des Alltags und dann schneit es und die Welt ist schön“, sagt Vladimir Sorokin im Gespräch über seinen Roman, der wie bei Puschkin und Tolstoi den Titel Метель (Schneesturm) trägt und auf den ersten Blick ein Kondensat, ein Intertext der russischen Schneesturmtradition zu sein scheint. „Wenn Sie unterwegs sind und in einen Schneesturm geraten, war es das. Es ist ein schönes Phänomen, aber auch ein schreckliches, schicksalhaftes Ereignis. Meine Erzählung hat in Wahrheit drei Protagonisten: den Arzt, seinen Kutscher und den Schneesturm. Am Ende siegt der dritte.“
Wie die Schönheit des Schnees ist auch die Sprache des 19. Jahrhunderts, in der Sorokin erzählt, eine Täuschung. Der hellsichtige Visionär führt uns mit Referenzraum, Personal und Erzählsound zunächst in die Irre. Die postapokalyptische Odyssee des Arztes Garin, der einen Impfstoff in eine abgelegene Ortschaft bringen will, wo eine mysteriöse Seuche die Bewohner·innen in Zombies verwandelt, spielt in der Zukunft.
Regie, Bühne und Kostüme: Kirill Serebrennikov Besetzung: August Diehl, Filipp Avdeev, , Sonja Beißwenger, Yang Ge, Belendjwa Peter, Mikhail Poliakov, Slava Serdiuchenko, Varvara Shmykova, Claudius Steffens, Malika Maminova, Frol Podlesnyi
Kirill Serebrennikow setzt ganz auf die Buddy-Komik des Gegensatzpaares in den Hauptrollen, das er mit August Diehl und Filip Avdeev, zwei seiner Lieblingsschauspieler, besetzt hat.
Jede Regung und Geste dieses sich komödiantisch beharkenden Duos wird mit Live-Kamera überlebensgroß auf die Leinwand projiziert. Deutlich kürzer kommen die Gestalten aus dem Kosmos des magischen Realismus, die den Weg der beiden kreuzen. Stattdessen übernimmt der Schneesturm die dritte Hauptrolle: ein genderfluides Ensemble aus China, Deutschland, Russland und der Ukraine tanzt, singt und steppt diesen Sturm, in dem Garin und Kuzma mehr und mehr die Orientierung verlieren.
Die Theaterfassung, die Serebrennikow selbst geschrieben hat, bleibt eng an der Roman-Vorlage. Da Sorokins Erzählweise in der ersten Hälfte vor allem mit der Exposition der Figuren beschäftigt ist, bleibt auch der erste Teil des Theaterabends recht statisch. Zähes Schneerieseln statt Sturm.
In der zweiten Hälfte dringt der Roman immer tiefer in seine surreale Welt ein und auch der Theaterabend spielt sich frei. Dabei tappt Serebrennikow aber wie zuletzt in der Ruhrtriennale-„Legende“ in die Falle, dass der Abend beinahe in einem Übermaß aus Theatermitteln ertrinkt. Mit viel Tanz, Musik und Folklore wird der „Schneesturm“ zu einem Crossover-Gesamtkunstwerk mit vielen Schauwerten, die auch nach der Düsseldorfer Premiere an diesem Wochenende wie schon im August auf der Perner-Insel in Hallein bejubelt wurden.
''Die beiden Akteure Doktor Garin (August Diehl) und Perkhusha/Krächz (Filipp Avdeev) setzen sich immer wieder runde durchsichtige Astronautenhelme auf, an denen Livekameras befestigt sind, die die Gesichter der beiden auf die runden Screens übertragen. Der etwas mühsame Dialog der beiden so unterschiedlichen Charaktere durchzieht das Buch wie auch Serebrennikovs Inszenierung. Avdeev switcht häufig ins Russische, was nur englisch übertitelt wird. Diehl ist der ungeduldige deutsche Intellektuelle, der auf Eile drängt, aber immer wieder am stoischen Brotkutscher und der widrigen Witterung scheitert. Der Schneesturm ist hier personifiziert. Vor allem Sonja Beißwenger gibt die verführerische Schneefee, die den Doktor umschmeichelt und zum Aufgeben bewegen will. Die Truppe KIRILL & FRIENDS tanzt, singt russische Weisen und deutsches Liedgut. Auf dem Weg in den hier Langenweiler genannten Niemandsort, kommen die beiden immer wieder vom Weg ab, nächtigen bei einem streitsüchtigen Müller in Zwergengröße, der hier von einem der Darsteller mit Maske und umgehängten kurzen Beinen dargestellt wird. Seine Frau ist dagegen die pure Weiblichkeit und lullt nicht nur ihren Mann zur Nacht ein. Die Kufe des Gefährts bricht an einer magischen Pyramide, wird mit Binden und Nägeln wieder repariert und landet in der Nase eines toten Riesen.
Die Inszenierung klappert alle Stationen des 200-Seiten-Romans brav ab, ohne das daraus ein wirklicher Mehrgewinn entstehen würde. Ohne den szenischen und musikalischen (Live-Musik: Malika Maminova) Aufwand schmälern zu wollen, stellt sich schon zu Pause eine gewisse Sättigung ein. Danach dreht der Abend nochmal etwas auf, auch wenn selbst die Schlüsselszene, bei der Garin bei ein paar Dopamierer genannten Drogendesignern den wahren Wert der im Schnee gelegenen Pyramiden erfährt und in einem verschwitzten Drogentrip seine eigene Hinrichtung in einem Kessel siedenden Öls durchlebt, hier mehr oder weniger nur szenisch vorgetragen wird. Die Reue als Vorstufe zur Demut nicht nur vor der Natur, sondern dem Leben und Tod selbst, ist Sorokins bitter-süße Pille, die Serebrennikov dem Festspiel-Publikum am Ende etwas zu süßlich darreichen will.'' schreibt Stefan Bock am 19. August 2025 auf KULTURA-EXTRA