Regie: Lorenz Seib Premiere: 10. Oktober 2020 TamS Theater München
Zum Inhalt: In 50 Jahren Theater hat sich eine Menge angesammelt. Requisiten, Textbücher, Kulissenteile, Kostüme, Geräte und Instrumente. Jedes Teil ist ein Stück dieses Theaters, alles hat irgendwo mitgespielt, etwas bedeutet, etwas erzählt. Aber ohne Theater bedeuten all diese Dinge nichts. Und nun, da die Schauspieler das Theater sich selbst überlassen haben, fordern die Dinge ihr Eigenleben, beanspruchen sie das Theater für sich. Sie wollen nicht mehr Requisiten sein, die man achtlos zur Seite räumt. Sie schwingen sich auf als Protagonisten und entern die Bühne. Ein Kartenspiel erinnert sich, ein Globus begibt sich auf Weltreise, im Aquarium zieht ein Gewitter auf, ein Bumerang macht sich auf den Heimweg und ein Revolver und eine Blumenvase stürzen sich in eine wilde amour fou. Der Küchenwecker denkt über die Endlichkeit nach und ein Feuerlöscher wartet auf den ersten Schnee. Aus den Dingen wird eine Welt, die in Bildern erzählt.
''Corona hin, Hygieneabstand her: Die goldene Winkekatze grüßt den vorbeischwimmenden Silberfisch, das Giraffenkostüm lässt seine Beine baumeln. Der Sonnenschirm findet zu den vergessenen Regenschirmen, die Kaffeemaschine kocht über und die alte Lampe fällt vor Schreck hintüber, aber das nie geöffnete Paket hält still und wahrt sein Geheimnis.
Wie philosophierte doch das Sakko? „Der eigentliche Schauplatz ist die Erinnerung und daher irreal.“ Und so hat es sich die Unmöglichkeit in vielen ordentlich beschrifteten Schubkästchen bequem gemacht. Der Schnee von gestern ruht, die Erfolge von morgen schlafen sanft, Spaghetti und Konfetti sind nachbarlich verbunden. „Probleme gibt es immer“, weiß der lebenserfahrene rosa Rock, denn „ohne Probleme geht es nicht.“ Es folgt der musikalisch heftig untermalte, dramatische Höhepunkt: Sakko und Rock überbieten sich gegenseitig mit der Schilderung ihrer Schandtaten. Man stelle sich vor: Er hat „Gegenstände an Orten abgestellt, wo man Gegenstände nicht abstellen durfte“, und sie hat gar „Zigaretten ins brennende Heu geworfen“!
Ein typischer TamS-Abend. Poetisch und melancholisch, heiter und verrückt, voller liebevoller Einfälle bis ins kleinste Detail, herzerfrischend gespielt und bravourös inszeniert von Lorenz Seib. Einmal mehr hat diese Bühne aus der gegenwärtigen Notsituation, die ja vor allem die kleinen Theater existenziell trifft, mit Humor das Beste gemacht. Wenn die Schauspieler das Theater aufgeben müssen, dann spielt eben das Inventar! Denn: Das Haus verliert nix! Genau.'' schreibt Petra Herrmann am 15. Oktober 2020 auf KULTURA-EXTRA