Zum Inhalt: Medusa, das Inzestkind von zwei Meereswesen, wird vom Meeresgott Poseidon in Athenes Tempel verführt und vergewaltigt. Athene ist erzürnt und verwandelt Medusa in eine geflügelte Gestalt mit Schlangenhaaren, deren Anblick alle zu Stein erstarren lässt. Nicht wenige Männer begeben sich auf die Reise, um ihr den Kopf abzuschlagen und sich dessen Macht anzueignen. Perseus gelingt das – mit Athenes Hilfe. Die Anti-Heldin wird überlistet und geköpft. So der Mythos, so der mythische Referenzrahmen für die Aushandlung von Regeln, Ängsten und gewaltvollen Fantasien. Sivan Ben Yishais Text ist eine moderne Vermessung des patriarchalen Geschlechtermodells als kultur- und epochenübergreifendes Gewaltsystem, das sich durch Duldung und Unterstützung reproduziert. Lieder an Liebende und Erzählungen von hoffnungsvollen Träumen junger Mädchen von der Zukunft spiegeln hetero-sexistische Normen. Und die kraftvolle Erzählenergie des Textes lässt uns Teil einer wuchtigen Verfolgungsfahrt werden – auf den asphaltierten Highways der Geschichte, rückwärts und vorwärts.
Mit: Gro Swantje Kohlhof, Jelena Kuljić, Bekim Latifi, Edith Saldanha, Mehmet Sözer
Stimme: Wiebke Puls Regie & Choreografie: Pınar Karabulut Bühne: Michela Flück Kostüme: Teresa Vergho Musik: Daniel Murena Licht: Jürgen Tulzer Dramaturgie: Mehdi Moradpour
Unterkomplexer Vergewaltigungs-Trigger-Text mit Comic Relief-Choreographie
2 Jahre her.
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Kritik
Ebenso drastisch wie unterkomplex kommt dieser sprachgewaltige Abend daher. Überfällig waren die Theatertreffen-Einladungen für Regisseurin Pinar Karabulut und Autorin Sivan Ben Yishai, die es beide zum ersten Mal in die 10er-Auswahl schafften. Der Wermutstropfen ist, dass sie ausgerechnet für einen Abend ausgezeichnet werden, der nicht zu ihren überzeugendsten Arbeiten zählt.
Zu eindimensional rauschen die Vergewaltigungstraumata in einem Mix aus langen Monologen und Musical-Einlagen vorbei, bei denen die Text-Verständlichkeit ohne englische Übertitel noch mehr leiden würde. Die Selbstironie und der Anspielungsreichtum, die „Wounds are forever“ von Ben Yishai zu einem der besten Texte der Saison machen, fehlen diesem brachialen „Like Lovers Do“.
Pinar Karabuluts anspielungsreicher und zitatverliebter Inszenierungsstil will ebenfalls nicht so recht zu dem Text passen. Was in der Web-Sopa-Opera „Edward II.“ wunderbar funktionierte, wirkt hier als Comic Relief-Brechung eines drastischen Texts oft merkwürdig hilflos, fast deplatziert.
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''Der Untertitel des Stücks nimmt Bezug auf den griechischen Medusa-Mythos. Die durch ihr Schlangenhaupt berüchtigte Gorgone wurde nach Ovid vom Meeresgott Poseidon im Tempel der Athene vergewaltigt und von der Göttin mit einem Fluch belegt, dass jeder, der sie ansah zu Stein erstarrte. Der erste Fall von Täter-Opfer-Umkehr, was in Fällen von Vergewaltigung oft der Fall ist. Davon ausgehend breitet der Text misogyne Praktiken und patriarchale Redeweisen über Frauen als Sexualobjekte aus und berichtet auch von fünf jungen Mädchen, die sich beim Eisessen in alten Rollenbildern schwelgend ihren Traummann ausmalen, was in der Inszenierung zur minutenlangen Klamauk-Nummer für Bekim Latifi wird.
Ziemlich am Ende der Inszenierung, wenn nicht nur aus den Phallustürmen die Luft raus ist, treten die fünf SpielerInnen nochmal in neuen Kostümen als mehrarmige Rachegöttin Kali oder Medusa auf und steigern sich in eine Kastrationsfantasie, bis sie von einem Raumschiff abgeholt werden. Große Begeisterung unter dem zumeist jugendlichen Publikum. Damit ist selbstverständlich auch ein weiterer Generationswechsel vollzogen. Aber was letztendlich den Ausschlag gegeben hat, diese Inszenierung nach Berlin einzuladen, lässt sich selbst aus der Jury-Begründung, die einerseits ein finster-poetisches „Lied“ über strukturellen Sexismus konstatiert aber auch von Amüsierverpflichtung der Popkultur spricht, nicht wirklich ablesen.'' schreibt Stefan Bock am 19. Mai 2022 auf KULTURA-EXTRA
''Pinar Karabulut versucht dem krassen und schmerzhaften Text mit schrillem Pop und androgynen Figuren beizukommen, die das duale Geschlechtersystem bereits hinter sich gelassen haben. Doch was gehen einen diese Nicht-Menschen, diese Außerirdischen an, die Redeblasen über Sex und Vergewaltigung absondern und dabei gänzlich auf der Stelle treten?
Später geht den phallischen Türmen die Luft und also die Erektion aus, am Ende heben die Aliens mit einem Raumschiff gen Bühnenhimmel ab. Zurück ins Paradies der Geschlechtslosigkeit? Vom Text bleibt jedenfalls nicht viel übrig außer: irgendwas mit Feminismus. Leichter und langweiliger war es nie, die offensten Türen einzurennen. Das Publikum jubelt.'' schreibt Barbara Behrendt auf rbbKultur