Zum Inhalt: „Erkennen, was die Welt im Innersten zusammenhält,“ will Faust und begibt sich auf die Suche: Rausch, Verjüngung, Sex und Zauberei. „Ich will in dieser Stunde mehr gewinnen als in des Jahres Einerlei.“ Faust lässt alle Vernunft fahren (oder versucht es zumindest), gibt Kontrolle ab und hofft im intensiven Leben die Welt endlich zu begreifen. Die Regisseurin Leonie Böhm sagt: „Ich bin Faust“ und legt zusammen mit den Schauspieler*innen Annette Paulmann, Julia Riedler und Benjamin Radjaipour die echten Gefühle im alten Faust-Text frei. So wie die Cloudrapper*innen der Gegenwart ihrem Künstlernamen ein „Yung“ hinzufügen und damit nicht nur buchstäbliche Jugend anzeigen, sondern auch ihren frischen Zugriff auf die Welt und die Beziehungen in ihr, will „Yung Faust“ den allzu viel gesprochenen Sätzen des mächtigen alten weißen Mannes (Goethe) eine verletzliche Unmittelbarkeit abgewinnen. Echte Zitate, echte Begegnungen: „Mein Busen fängt mir an zu brennen!“
Mit Annette Paulmann, Benjamin Radjaipour, Julia Riedler Live-musik: Johannes Rieder
Inszenierung: Leonie Böhm Bühne: Sören Gerhardt Kostüme: Mascha Mihoa Bischoff Musik: Johannes Rieder Licht: Jürgen Tulzer Dramaturgie: Tarun Kade
‘‘Überhaupt sehr emotional verspielt kommt diese Inszenierung daher. Vor einem Nichtbühnenbild mit allerlei Wasserspielen und Pflanzentapetenrückwand performen Riedler, Radjaipour und als Dritte im Bunde Annette Paulmann eine Art Faust‘schen Gemütszustand, der von total depri (Paulmann) über cool und lasziv (Riedler) bis zu völlig überdreht und albern (Radjaipour) reicht. Am Synthesizer steuert Musiker Johannes Rieder die passenden Elektroklänge bei. Natürlich wird sich ordentlich nass gemacht und in einer Art soften YouPorn-Action alle Möglichkeiten der Spring- bzw. Jungbrunnen und Wasserspiele ausgetestet. Die drei Akteure wälzen sich über den Boden, setzen sich Tierschädelmasken auf, spielen in verteilten Rollen Fausts Begegnung mit Gretchen und animieren auch mal mit einer Entschuldigungsszene das Publikum, ins Gefühlsbad einzusteigen.
„Zu alt, um nur zu spielen, zu jung, um ohne Wunsch zu sein.“ Die zugeben für ein junges Publikum wohl wenig interessanten Sehnsüchte des alten, weißen Mannes Faust werden hier verulkt zum lustigen Kindergeburtstag mit Anfassen. „Was die Welt im inneren zusammenhält“ ist hier aber nicht weiter von Belang. Mit ein paar Hugs ist der Pakt zwischen Faust und Mephisto geschlossen. Doch wie nun weiter, weiß die Inszenierung nur als Frage: „Wie fangen wir das an?“ Und so offen endet dann auch diese nur 1stündige, auf Dauer doch recht belanglose Teenage-Faust-Versuchsanordnung.‘‘ schreibt Stefan Bock am 16. Juli 2019 auf KULTURA-EXTRA
„Yung Faust“ hat den Charme improvisierten Off-Theaters. Die Spieler*innen schlendern durch die Reihen und quatschen das Publikum an, schlittern bäuchlings durch die Pfützen, die der schöne Springbrunnen im Zentrum der Bühne verursacht, und halten immer in der Schwebe, wer nun gerade Faust, Mephisto und Gretchen. Die Liebesszene zwischen Gretchen und ihrem Faust wird natürlich geschlechterverkehrt gespielt: Hier ist es Paulmann, die ihren jüngeren Kollegen Radjaipour doggystyle rannimmt.
Am besten ist der Abend der jungen Regisseurin Leonie Böhm, wenn er auf die Musik vertraut. Statt des Cloud-Raps, den der Titel in einer Hommage an eine österreichische Szenegröße andeutet, dominiert sanfter Indie-Pop wie in dem tollen „No ordinary love“-Solo von Radjaipour. Insgesamt ist „Yung Faust“ aber oft zu albern und leichtgewichtig: eine „Fingerübung“, wie Christoph Leibold im Bayerischen Rundfunk treffend kommentierte, bei der Abiturklassen eine Stunde lang ihren Frust über den angestaubten Goethe-Klassiker vergessen können und der Rest des Publikums mehr oder weniger gut unterhalten wird.
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