Zum Inhalt: Alcina ist eine mächtige Zauberin. Und sie hat alles: Reichtum, Macht und viele Bewunder*innen. Man liebt sie und hat Angst vor ihr. Alcina ist wunderschön, klug und sehr gefährlich. Wer sie bedroht, den verwandelt sie in Tiere oder Steine. Aber selbst Alcina hat eine Schwachstelle: Sie liebt Ruggiero und hat Angst, ihn zu verlieren. Sie verzaubert, belügt und manipuliert ihn, wo sie nur kann, und er verfällt ihr, besinnungslos glücklich. Bis eines Tages Bradamante, Ruggieros Verlobte, als Mann verkleidet die Zauberinsel erreicht. Mutig und kämpferisch will sie ihren Ruggiero zurückgewinnen. Aber damit nicht genug: Alcinas Schwester verliebt sich in die als Mann verkleidete Bradamante und setzt alles daran, sie / ihn (?) für sich zu gewinnen.
Spätestens jetzt ist das Chaos komplett! Ein wildes Katz-und-Maus-Spiel verwirrter und verzweifelter Liebe beginnt. Plötzlich ist nichts mehr, wie es scheint, niemandem ist mehr zu trauen und die märchenhafte Idylle wird zum Schauplatz erbitterter Kämpfe um Wahrheit, Liebe, Vertrauen und die Frage nach der eigenen Identität. Mit ALCINA schuf Georg Friedrich Händel 1735 eine seiner erfolgreichsten Opern. Die betörend schöne, sinnliche und dramatische Musik ist, wie Alcina selbst, ein Ereignis: Wer sie einmal erlebt hat, wird verzaubert sein und sie nie mehr vergessen. Mit Generalmusikdirektor André de Ridder übernimmt ein leidenschaftlicher Spezialist für dieses Repertoire die musikalische Leitung und das Regieteam aus Pia Partum, Katarzyna Borkowska und Tatjana Beyer verführt Sie in eine Blase makelloser Schönheit. Wären da nicht die wilden Tiere, die hungrig auf einen günstigen Moment warten …
Künstlerisches Konzept: Katarzyna Borkowska und Pia Partum Regie: Pia Partum Bühne: Katarzyna Borkowska Video-Design: Wojciech Pus Co-Bühnenbild: Bartholomäus Martin Kleppek Kostüme: Katarzyna Lewinska Licht: Michael Philipp Ton: Julien Guiffes Video: Laurin Lampe Dramaturgie: Tatjana Beyer Mit: Maeve Höglund (Alcina), Cassandra Wright (Morgana), Sara De Franco (Oberto), Lila Chrisp (Ruggiero), Yewon Kim (Bradamante), Lulama Taifasi (Oronte) und Yunus Schahinger (Melisso)
Vorweg: das Orchester ist großartig und verdient es für eine deutlich bessere Inszenierung zu spielen. Der Musik würde ich ohne Bedenken 5 Sterne geben, aber leider wurden hier die vielfältigen Möglichkeiten ein Meisterwerk zu verunstalten mit großer Leidenschaft verfolgt.
Wie man ein Bauhaus-Szenenbild, welches vielleicht einen Partypavillon in einem postapokalyptischen Kalifornien der 90er Jahre zeigt, als Paradies verkaufen will erschließt sich mir nicht.
Die Kostüme sind beliebig und man hätte die Darsteller auch in regulärer Straßenkleidung auftreten lassen können. Das hätte auch zu der Endlosschleife der Highways im Hintergrund gepasst.
Anscheinend wurde die Magie mit Musclecars ersetzt, jedenfalls ist nichts davon auf der Bühne zu sehen.
Und warum ziehen Alcina und Morgana ständig ihre Schuhe aus? Hat die Regie irgendeinen schrägen Fussfetisch?
Jedenfalls hätte der Vorhang besser unten bleiben sollen, um alles als Schattenspiel zu zeigen, dann hätte man wenigstens etwas ungestörter die eigene Fantasie zur Musik bemühen können.
''Dieses Bühnenbild ist nicht abendfüllend. Eine Projektion verwandelt den Hintergrund in einen öden Highway durch die kalifornische Wüste. Was macht Alcina in Amerika? Wer dumm fragt, bekommt dumme Antworten.
Zum Glück besteht Oper jedoch aus Musik. Die Freiburger Alcina kann als Wettbewerb der Frauenstimmen reüssieren. Maeve Höglund in der Titelrolle, Cassandra Wright als ihre Schwester Morgana, Yewon Kim in der Hosenrolle der Bradamante und Sara De Franco in einer weiteren Hosenrolle des Oberto gewähren ein musikalisches Fest der Superlative. Dem Mezzosopran Lila Chrisp als Ruggiero, zu Händels Lebzeiten ein Kastrat, mangelt es zunächst an Kraft und damit an Ausdruck, ehe sich die Sängerin frei singt und dann allerdings würdig neben ihren Kolleginnen steht. Das Philharmonische Orchester Freiburg unter der Leitung von Friederike Scheunchen erfreut mit beispielhafter Präzision, differenzierter Dynamik und Askese bei den Legati.
Die Farbe Rot inmitten von Schwarz und laszive Gesten signalisieren Morganas Lebenslust im Gegensatz zu Alcinas Kalkül und Bösartigkeit. Wenn sie reumütig zu Oronte zurückkehrt, trägt sie weiß und ein züchtiges Kopftuch und bittet, an die Kühlerhaube des einen Autos gelehnt, um Erbarmen. Dann setzt sie sich ans Lenkrad und weint oder tut jedenfalls so als ob. So sind sie halt, die Frauen mit den schönen Stimmen.
Eifersucht ist in dem sehr schematischen Libretto nach Ariosts Orlando Furioso eine existentielle Haltung, ohne Vorspiel, ohne Motiv – Psycholgie ist der Handlung fremd –, ein Anlass vor allem für Arien. Wo sich eine moderne Interpretation diesseits von Zauberei und Märchen anbietet, verzichtet die Regie von Pia Partum darauf. Das häufigste Wort lautet „crudele“: „grausam“. Jeder(r) beschuldigt die anderen der Grausamkeit. Am Ende werden die verzauberten Menschen rückverwadelt. Das sieht man in Freiburg leider nicht. Wir müssen’s nur glauben.'' schreibt Thomas Rothschild am 20. Juni 2025 auf KULTURA-EXTRA