Regie: Alice Buddeberg Premiere: 25. Januar 2018 Theater Bonn - Kammerspiele
Zum Inhalt: Leo Clarenbach liegt im Sterben. Ein letztes Mal findet er sich im Kreise seiner Familie wieder, ein letztes Mal werden die Erinnerungen an früher wach. Erinnerungen an ein perfektes Leben, eine perfekte Familie: wohlhabend, aber mit sozialem Gewissen, geschmackvoll, stilsicher, hochbürgerlich. Und immer das Engagement, die Politik im Blick. Doch dann zerspringt 1990 mit dem Mauerfall auch das Familienglück, als bekannt wird, dass hinter dem scheinbaren Idyll in Wahrheit Lüge und Verrat stecken. Denn Familienvater Leo hat jahrelang für die DDR spioniert. Die bürgerliche Fassade zerbricht, und mit ihr auch die Familie, entwurzelt und traumatisiert. Und doch – war es nicht ein ehrenhaftes Doppelleben, das der Vater da führte? Was trieb ihn? War es der Konflikt zwischen bürgerlicher Staatstreue und Radikalutopie, der die Familie zerstörte? Oder doch nur eine simple, monströse Lebenslüge? Ist nicht jede Utopie eine Lebenslüge? Die Fragen in der Abschiedsnacht werden immer dringlicher und größer.
''Neben angestrengt wirkende Anklagen in verschiedenste Richtungen tritt eine übertriebene Perspektivenaufsplitterung. Eine Figur wird so beispielsweise auch mal von zwei oder mehr Darstellern gespielt. Die Figuren sprechen oft mit starrem Blick zum Publikum hin. Eine Figuren- und Plotentwicklung lässt sich hier nur schwer erahnen. Konflikte werden trotzdem bis zum Exzess aufgeladen. Es wird geschrien und sich auf der Bühne auch mal gekugelt oder geprügelt. Sophie Basse windet sich in der Rolle der Tessa Clarenbach gar hysterisch auf dem Boden, um sich so allem familiären Taumel geschwind zu entziehen.
Wo fängt es an? Diese Frage wird in dem Drama immer wieder gestellt. Vielleicht ist ja alles nur Schall und Rauch? Nicht nur in vorgeführten Videosequenzen, die eine Vergangenheitsebene veranschaulichen sollen, wird jedenfalls – wie einst in den Fassbinder-Filmen der 1970er Jahre – voll geheimnisvoll-enthobener Eleganz sehr viel geraucht.
Während Alice Buddeberg mit Thomas Melles Bilder von uns 2016 eine spannende, sensible und höchst sehenswerte Uraufführung am Theater Bonn inszenierte, wirkt Der letzte Bürger an Konflikten und Spannungen sichtlich überladen. Auch die Mehrfachbesetzung der Figuren mit unterschiedlichen Darstellern trägt zur allgemeinen Verwirrung bei anstatt den familiären Konflikt zu erhellen oder eine erkenntnisfördernde Metaebene reinzubringen. Das Potenzial des starken Darstellerensembles und die Beobachtungsgabe des gefeierten Autors von Die Welt im Rücken (2016) hätten sicher besser ausgeschöpft werden können.'' schreibt Ansgar Skoda am 9. Februar 2018 auf KULTURA-EXTRA