Kritik
Erst 25 Jahre alt war Dostojewskij, als er seine Erzählung "Der Doppelgänger" herausgebracht hat. Hier wie durch sein gesamtes Werk ziehen sich die Beobachtungen der menschlichen Seele, denen er mit den Mitteln der Literatur nachgespürt hat und die daher bis heute ihre Aktualität behalten haben.
Grund genug, dass Clemens Mädge für die Vagantenbühne eine Bühnenfassung erarbeitet hat und zwar von der Originalfassung des jungen Dostojewskijs, die wesentlich surrealer und komischer erzählt ist als die 20 Jahre später gekürzte und geschliffene Version, den Lesern zumeist bekannt.
Kathrin Mayr hat inszeniert, am 3. Juni war Premiere.
Erzählt wird die Geschichte eines schüchternen Beamten im damaligen Petersburg, dessen Leben durch einen plötzlich auftauchenden Doppelgänger, der Möglichkeiten hat, die dem "Original" verwehrt bleiben, Stück für Stück in den Wahnsinn getrieben wird. Wobei der Fokus dieser Bühnenfassung nicht unbedingt in der titelgebenden Geschichte des Doppelgängers liegt, vielmehr ist hier das Unvermögen des Herrn Goljadkin, sein Leben zu meistern, in den Mittelpunkt gerückt.
Der Abend beginnt mit einer Art Kaufhausmusik, die allein schon eine gewisse Komik birgt, und dem Auftritt von Herrn Goljadkin, der sich, höchst symbolträchtig, unter einer riesigen bühnenfüllenden Steppdecke bewegt, vor sich und der Welt versteckend. Er wacht aus dem Schlaf auf, befindet sich aber noch zwischen Traum und Realität, hier wird bereits ein erster Blick in die Seele des Protagonisten gelegt. Dies mit dem Mittel der Vervielfachung seiner Rolle, denn er ist nicht allein auf der Bühne, drei Herren Goljadkin sind anwesend; wie sie zueinander in Beziehung stehen, wird zunehmend aufgelöst.
Kathrin Mayr ist eine großartige Inszenierung gelungen, die drei Ausgaben des Herrn Goljadkin sind beeindruckend gezeichnet, von den drei Schauspielerinnen Marie-Thérèse Fontheim, Friederike Ziegler und Magdalene Artelt mit großer Präsenz hervorragend gespielt.
Auch physisch sind sie sehr gefordert, allen voran Marie-Thérèse Fontheim, die den "Kern-Goljodkin" mimt, dies mit viel komischem Körpereinsatz.
Mayr hat die Inszenierung mit einem großen Maß an Überhöhung umgesetzt und damit aus dem eher düsteren Sujet das Groteske und Komische herausgearbeitet, mit großem Erfolg. Dies erklärt auch, warum die männliche Hauptperson von drei Frauen gespielt wird, Mayr hat damit eine noch größere Distanz zu der Originalfigur erreicht, die ja selbst schon grotesk und überhöht ist.
Unterstützt wird die Inszenierung durch das Bühnenbild, das sich tatsächlich nur auf diese riesige Decke beschränkt, die allerdings eine vielfältige Nutzung erfährt, und durch die Kostüme in den Primärfarben, die tatsächlich auch eine gewisse Komik bergen, für beides zeichnet Johanna Bajohr verantwortlich.
Die Inszenierung ist unbedingt kurzweilig, der Schluss vielleicht ein wenig verwirrend, der Abend und vor allem die drei Schauspielerinnen mitreißend, Theater im besten Sinne.
Das Publikum war entsprechend begeistert, wollte das Ensemble gar nicht mehr von der Bühne lassen.