Es ist ein ganz spezielles Phänomen, dem sich der Erfolgsautor Daniel Kehlmann in seinem 2009 erschienenen Roman „Ruhm“ widmet. Erik Schäffler hat den Roman zu einem Bühnenstück umgearbeitet, das jetzt bei den Berliner Vaganten Premiere hatte: der anfangs unmerkliche Verlust der Realität, der alle vermeintlich sicheren Relationen schrittweise derart verschiebt, dass schliesslich eine veränderte, neue Realität an die Stelle der bisherigen tritt. Dergleichen ist natürlich mit literarischen Mitteln sehr viel leichter darzustellen. Den Vorgang auf der Bühne plausibel zu machen, ist ohne Zweifel eine besondere Herausforderung, sowohl für die Inszenierung wie für die Darsteller.
Die schleichende, bisweilen auch abrupte Veränderung von Lebensumständen wird an verschiedenen Schicksalen vorgeführt, wobei tragikomische Verwicklungen die Regel sind.
Am Anfang steht eine falsch oder doppelt vergebene Handynummer, wodurch ein Handybenutzer ständig Anrufe erhält, die für jemand anderen bestimmt sind. Von den neun Episoden der Romanhandlung, die ziemlich genau in das Bühnenstück überführt werden, bleiben einige besonders im Gedächtnis. So die Einführung des überempfindlichen Schriftstellers Leo Richter, des sich selbst imitierenden Schauspielers Ralf Tanner, die skurrile Pressereise der Maria Rubinstein in ein asiatisches Land und das Doppelleben des Abteilungsleiters einer Mobiltelefongesellschaft zwischen seiner Ehefrau Hannah und der Freundin Luzia. In der letzten Episode, die in Afrika spielt, tritt der Autor Leo Richter als mutiger Begleiter bei einem humanitären Einsatz auf.
Die Inszenierung von Hajo Förster holt aus den knappen Möglichkeiten der kleinen Vagantenbühne die besten Effekte heraus. Als dekorative szenische Elemente dienen lediglich ein paar auf Rollen verschiebbare Stellwände und eine Reihe hölzerner Schemel. Die entscheidenden Akzente setzt eine sehr erfindungsreiche Ton- und Lichtregie.
Die Darstellung der vielfältig miteinander verwobenen Lebensgeschichten übernimmt ein bestens aufeinander eingestimmtes Ensemble, das sich den wechselnden Situationen gewandt anpaßt und die verschiedenen Charaktere überzeugend darstellt. Lisa Marie Becker, Marion Elskis, Felix Theissen und Urs Fabian Wininger gelingt es mit intensiver Personengestaltung und blitzschnellen Kostümwechseln, die anspruchsvolle Romanhandlung einleuchtend auf die Szene zu bringen.
Das Premierenpublikum dankt für die Aufführung mit begeistertem Applaus.
Horst Rödiger
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