Kritik
Beeindruckend, was ein einzelner Buchstabe bewirken kann. Emmi Rothner, Website-Designerin, und Leo Leike, Kommunikationswissenschaftler, lernen sich ganz unbeabsichtigt kennen, Emmi vertippt sich bei der Emailadresse, will eigentlich nur ihr Abonnement für eine Frauenzeitschrift per Email kündigen. Leo reagiert erst, als er auch noch eine Weihnachtsrundmail von Emmi bekommt, von da an nimmt der digitale Briefwechsel zwischen den beiden gewaltig an Fahrt auf und entwickelt sich zu einer intensiven Online-Beziehung.
Vor gut 10 Jahren veröffentlichte Daniel Glattauer seinen oft sehr wortwitzigen Roman “Gut gegen Nordwind”, inzwischen ist er in 28 Sprachen übersetzt und in seiner Bühnenadaptation von vielen deutschsprachigen Theatern inszeniert. So hat auch Dieter Hallervorden das Stück im Frühjahr 2017 zu einem Gastspiel auf seine Bühne geholt, nun ist das Duo noch einmal für zwei Tage im Steglitzer Theater eingeladen, am 9. und 10. November. Wohin es auch Schulklassen zieht, findet dieser Roman doch Eingang in den Deutschunterricht. Die Liebesgeschichte läuft ja unter den Bedingungen moderner Kommunikationstechnik ab, dieser Aspekt macht den Roman auch für medienaffine jüngere Generationen lesenswert.
Alexandra Kamp und Maximilian Laprell spielen Emma und Leo, die Bühne ist hälftig geteilt und enthält jeweils Tisch mit Laptop, Stuhl und einen Garderobenständer, beides ein Spiegel der ganz unterschiedlichen Charaktere der beiden Protagonisten. Während Emmi, die zwar glücklich verheiratet ist, aber von ihrer Neugier auf das Leben und die Menschen nichts verloren hat, die treibende Kraft dieser immer mehr zu einer Liebesbeziehung werdenden Geschichte ist, agiert Leo etwas verhaltener und auch vernunftbetonter, kommt aber nicht umhin, sich immer mehr in diese Beziehung ziehen zu lassen. Die beiden leben eigentlich alles, was auch eine sich real entwickelnde Liebesbeziehung ausmacht, sie flirten, streiten, versöhnen sich wieder, verfallen zwischendurch auch mal dem Alkohol und kommen sich sehr nah. Endlich endlich planen sie ein Treffen: zuerst ein anonymes, später ein richtiges, als es schon fast zu spät ist, Leo für zwei Jahre weggehen und auch ihre Beziehung beenden möchte. Und dann, dann kommt ein zweites Mal die Macht der Buchstaben zum Tragen: Ein „a“ wird zu einem „i“ und prompt wird es Emmi unmöglich, Leo noch zu treffen, das Stück hat kein Happy-End. Aber irgendwie passt das auch, dramatisch geht es die ganze Zeit zu, wenn Emmi und Leo sich einander annähern und auch wieder voneinander entfernen.
Dominik Paetzholdt hat eine kurzweilige, temporeiche und spannende Inszenierung geschaffen, mit vielen Musikeinspielungen, lässt seine beiden Darsteller auch mal eine Mail des jeweils anderen lesen und die beiden Schwerverliebten auch räumlich sich hier und da fast unerträglich nah kommen. Alexandra Kamp und Maximilian Laprell funktionieren gut miteinander, auch wenn sie, optisch betrachtet, nicht wirklich miteinander agieren, außer für einen winzigen Augenblick, als sie sich bei ihrem anonymen Treffen kurz mit ihren Blicken streifen. Kamp spielt ihre Emmi sehr quirlig und leicht neurotisch, mit sehr viel Verve, Humor, Temperament und einigen rosa Accessoires, sogar mit einem pinkfarbenen Plüschherz. Laprell agiert als ruhigerer Gegenpol, lässt sich die Butter aber nicht vom Brot nehmen, antwortet aus der Sicht eines vermeintlich typischen Mannes, aber nicht weniger emotional, es macht Spaß, den beiden bei ihrer virtuellen und doch so realistischen Beziehungsentwicklung zuzuschauen.
Das Ende lässt vieles offen, zumindest hat es dem Autor die Möglichkeit gegeben, eine Fortsetzung zu schreiben. Die auch schon inszeniert ist, wieder von Dominik Paetzholdt und mit Alexandra Kamp. Das begeisterte Publikum kann seine Neugier also stillen ... oder sich eine eigene Fortsetzung denken ...