Kritik
Die Berlinerin Brunhilde Pomsel, Jahrgang 1911, gestorben 2017, konnte auf ein bewegtes Leben zurückblicken.
War sie doch eine der letzten Zeitzeugen, die beide Weltkriege erlebt und während des Nationalsozialismus als Stenotypistin und Sekretärin drei Jahre für den Propagandaminister Joseph Goebbels gearbeitet hat.
Und nachdem sie über diese Zeit Jahrzehnte nicht sprechen wollte, hat sie sich in ihren letzten Lebensjahren, schon über 100-jährig, doch noch in mehreren Interviews zu ihr geäußert.
Christopher Hampton hat aus diesen eine Theaterfassung gemacht, die in der Regie von Philip Tiedemann nun auf die Bühne des Schlosspark Theaters gekommen ist, in der einzigen Rolle die "erst" 85-jährige Brigitte Grothum, die in diesem Jahr 65-jähriges Bühnenjubiläum auf der Steglitzer Bühne feiert.
In der Rolle der Brunhilde Pomsel steht sie nun aber einer ganz besonderen Herausforderung gegenüber, abgesehen von der One-Woman-Show gilt es, eine Frau darzustellen, die in einer Mischung von Unbedarftheit, Naivität und Oberflächlichkeit ihren beruflichen Werdegang während des Nationalsozialismus beschreibt, dass man es ihr kaum abnehmen möchte.
Der Abend beginnt mit dem Satz "Ich habe vieles vergessen." Pomsel sitzt in einem dunklen Raum, nur ein kleines Fenster spendet etwas Licht und würde da nicht eine rote Nelke auf dem Tisch stehen, assoziiert man mit diesem Raum eine Gefängniszelle.
Wohlwollend könnte man diesen Satz als ein gewisses Zugeständnis interpretieren, sich in dieser Zeit so wenig mit ihrem politischen Umfeld auseinandergesetzt, das Verschwinden von jüdischen Freunden und Bekannten in direkter Nachbarschaft nicht hinterfragt zu haben, dies alles vor dem Hintergrund, in ihrer beruflichen Position direkt mit der Politik der Nationalsozialisten konfrontiert gewesen zu sein.
Vielleicht aber will sie mit dieser Kulisse Buße ausdrücken, immerhin spricht sie davon, dass "ihre Vorgesetzten Egoisten waren, keine Vaterlandsliebe da war". Oder aber sie zeigt die Dunkelheit, die Pomsel während ihrer letzten Lebensjahre umgab, sie war quasi blind.
Stück für Stück reiht sie die Stationen ihres Lebenslaufs aneinander, erzählt relativ unbeeindruckt davon, wie sie zwei Anstellungen hatte, "ein Jude am Vormittag, ein Nazi am Nachmittag", da klingt irgendwie schlüssig, wenn sie erwähnt, dass sie damals alle erstaunlich unbeeindruckt von dem Krieg waren, auch dies aus heutiger Sicht schwer vorstellbar. Brunhilde Pomsel beschreibt sich als unpolitische Mitläuferin, was man ihr durch die Schilderung ihres beruflichen Werdeganges ohne Weiteres abnimmt, sie war leider nicht die Einzige. Und fast klingt es so, als hätten lauter Zufälle ihr zu dieser außergewöhnlich gut bezahlten Position verholfen, auch dass ihre langjährige jüdische Freundin plötzlich verschwand, war eben so.
Brigitte Grothum verkörpert diesen Charakter sehr glaubwürdig, fast mit einer gewissen Leichtigkeit, die auch den einen oder anderen komischen Moment zulässt. Unterstützt wird sie von teils dramatischen Musikeinspielungen und zeitweiligen Hintergrundfotos, die z.B. die jeweilige berufliche Station, wie das Haus des Rundfunks abbilden.
Zurück bleibt neben diesem interessanten und wichtigen Stück Zeitgeschichte in ungewöhnlichem Format Fassungslosigkeit.