Wer bist du? Was ist deine Identität? Bist du eine Mutter, die ihre Kinder aufopferungsvoll liebt? Bist du eine fleißige Arbeitnehmerin, die jeden Tag um 5 Uhr aufsteht und oft das Gefühl hat, sich in einer Art Hamsterrad zu befinden? Bist du eine gehorsame Partnerin, die jeden Abend das Licht für ihren Partner anlässt, obwohl es ihr eigentlich zu grell ist?
Täglich erfüllst du verschiedene Rollen im Leben. Doch wer bist du wirklich? Wer bist du, wenn dich keiner beobachtet? Wann hast du dein Leben so richtig gefeiert?
Mit diesen vielen Fragen befasst sich die neue rekordverdächtige Show des Friedrichstadt-Palastes. Mit zwölf Millionen Euro ist es die teuerste Produktion und am Samstag, den 20. Oktober 2018, wurde ich ein begeisterter Teil davon.
Um ca. 19.30 Uhr entführte uns Andreas Bieber, der sich bereits auf dem The Milestones Project-Konzert in mein Herz gesungen hatte, in das großartigste Spektakel, das ich in den letzten Monaten gesehen habe. Doch nicht nur die Zuschauer wurden entführt, sondern auch die Protagonistin R’Eye, von der Musicaldarstellerin Devi-Ananda Dahm verkörpert, die ich schon in dem Musical „Hairspray“ als Penny Pingleton bezaubernd fand.
In einer roboterähnlichen Welt kann die unschuldige R’Eye nicht nur ihren Vater nicht mehr finden, sondern wird selbst zu einer anonymen Androidin, einer Art Mensch-Maschine. In dieser grauen Binären Welt herrscht Androidonna.
Erst durch einen Guru und durch seine traditionelle türkische Ebru-Malkunst findet die Androidin einen Weg in die magische Parallelwelt, in der sie viele wunderschöne Fantasiegestalten erwarten. R’Eye verliert sich in dieser schönen Welt und schafft es nur so, ihren Vater und sich selbst am Ende wiederzufinden.
Zum ersten Mal in der Friedrichstadt-Palast-Geschichte ist eine Frau als Regisseurin für die Show verantwortlich: Krista Monson aus Las Vegas, wo sie sich 14 Jahre lang beim Cirque du Soleil künstlerisch austoben konnte. Dass eine Frau aus Las Vegas für das neue Showkonzept zuständig ist, erkennt man in jeder Szene, denn nur eine Frau kann eine Dirty Dancing-Szene zu dem Lied „She's like the wind“ in die Show einbauen. Nur jemand aus Las Vegas kommt auf die Idee, ein großes, glitzerndes und verruchtes Funhouse auf die Bühne zu stellen.
Überhaupt wird mit Hilfe der über 100 Künstler/-innen aus 26 Nationen eine farbenprächtige Fantasiewelt – ein Gegensatz zu der grauen Welt der Fremdbestimmung - auf der Bühne geschaffen, die ich nur ungern am Ende wieder verlassen habe.
Einmal befanden wir uns im Dschungel mit einem überdimensionalem Schmetterling und vielen Dschungelbewohnern, dann staunten wir über große Froschmenschen und schließlich wurden wir in eine Blumenwelt entführt, in der grazile Ballettänzerinnen zur Choreografie von Alexandra Georgieva als Blumen um die Wette tanzten.
Die Kostüme des Designers Stefano Canulli und die Hüte des Hutmachers Philip Treacy, der laut The Times der „berühmteste Hutmacher der Welt“ ist, trugen dazu bei, dass sich die Zuschauer in einer Welt voller Magie wiederfanden, in der sie oft nicht wussten, welches Bild sie zuerst mit ihren Augen einfangen sollten. Das Publikum kam die ganze Show über aus dem Staunen gar nicht mehr raus und honorierte dies mit ständigem Szenenapplaus.
Und natürlich die Akrobaten, die Akrobaten waren wieder nicht von dieser Welt. Wer meine Berichte schon häufig gelesen hat, weiß, dass ich Luftakrobatiknummern liebe. Und obwohl ich schon so viel gesehen habe, haben die Sky Angels (Kristina Vorobeva, Rustem Osmanov) mit ihrer Luftakrobatik wieder Neues gezeigt, das mich ins Staunen versetzt hat.
Die Troupe Ayasgalan hat das Publikum mit ihrem Talent, ihren Körper schlangenartig zu verbiegen, verblüfft.
Der artistische Höhepunkt war aber natürlich für jeden im Saal die Navas Troupe aus Ecuador, die auf den zwei gigantischen Todesrädern Unglaubliches vorführte und mit ihren Salti und dem Seilspringen – in großer Höhe und während sich die Todesräder weiter drehten – mir und allen anderen im ausverkaufen Zuschauersaal den Atem raubte.
Die Girlreihe, die im Friedrichstadt-Palast eine lange Tradition hat, durfte natürlich auch diesmal nicht fehlen. Doch diesmal trugen die Tänzerinnen Hüte, die wie Kreissägen ausschauten und zunächst weiß und später in verschiedenen Farben leuchteten.
Für die musikalische Unterhaltung an diesem Abend sorgte neben Andreas Bieber Glacéia Henderson, die mit ihrem Aussehen an die legendäre Grace Jones erinnerte, und das glamouröse Glamour Girl Sarah Manesse. Andreas Bieber mit seinen Enterainerqualitäten, Sarah Manesse mit ihrer facettenreichen Stimme und Glacéia Henderson mit ihrer souligen Stimme passten wundervoll in das schillernde Gesamtkonzept der Show.
Mein Fazit: Ich kann The Times nur zustimmen, die neue Show in Berlin ist ein Must-See. Sie ist ein farbenfrohes Erlebnis der Superlative, in der uns Fantasiegestalten Folgendes lehren: Das Leben ist schön und manchmal müssen wir uns erst verlieren, um unsere wahre Identität zu finden. „Life is waiting for you“, die neue Show im Friedrichstadt-Palast auch.
© E. Günther ("Mein Event-Tipp")