„Die Liebe ist wie ein Stich ins Herz“ und manchmal ist sie dein Verderben.
Schon in einem anderen Blogbeitrag habe ich Euch davon berichtet, dass George Bizets Oper „Carmen“ zu meinen Lieblingsopern gehört. Als ich davon gehört habe, dass eine meiner Lieblingsopern zu einem kubanischen Musical umgearbeitet wurde, war ich nervös und gespannt zugleich. Aber wer konnte diese leidenschaftliche Oper auch besser interpretieren als ein kubanisches Ensemble?
Das von George Bizets „Carmen“, nach der gleichnamigen Novelle von Prosper Mérimée, inspirierte und auf einer Idee und den Songtexten von Oscar Hammersteins II in „Carmen Jones“ (1943) basierende Musical feierte im Jahr 2016 eine furiose Weltpremiere am Pariser Théâtre du Châtelet und ließ damit meine Erwartungen ins Unermessliche steigen.
Und am Donnerstag, den 4. Oktober 2018, sah ich wie so viele im Saal mein erstes kubanisches Musical.
Die Handlung von der freiheitsliebenden Carmen wurde von dem international anerkannten Opern- und Musical-Regisseur Christopher Renshaw, dem Grammy- und Tony Award-Preisträger Alex Lacamoire („Hamilton“, „The Greatest Showman“) und dem Songtexter Norge Espinosa Mendoza in das nach Freiheit strebende Kuba verlegt, an den Vorabend der Revolution, in der Fidel Castro den kubanischen Diktator Batista gestürzt hatte.
Zwar kennen sehr viele Carmens feurige Lebensgeschichte, doch sei sie an dieser Stelle noch einmal erzählt, zumal in dem Musical ein paar Kleinigkeiten im Vergleich zur Oper geändert wurden, um sie an das Leben in Kuba anzupassen.
Die Zigarrendreherin Carmen wird von dem Feldwebel Moreno verhaftet und soll von dem Soldaten José, der mit Marilù verlobt ist, ins Gefängnis gebracht werden. Doch Carmen schafft es, José zu verführen und dieser lässt sie daraufhin frei. Carmen verspricht José, auf ihn in ihrer Lieblingsbar zu warten. Dort begegnen sich die beiden Frischverliebten wieder und müssen, nachdem José seinem Vorgesetzten gegenüber handgreiflich geworden war, nach Havanna fliehen. Doch in Havanna wartet Josés Nebenbuhler Boxer El Niño, der es auf Carmen abgesehen hat. Eine tragische Lebens- und Liebesgeschichte nimmt ihren Lauf.
"Die Liebe ist ein wilder Vogel, den kein Mensch jemals zähmen kann.“ Und keinem gelingt es, Carmen zu zähmen. Genauso wie ihre Mutter verführt sie reihenweise Männer und bricht deren Herzen. So leidenschaftlich und sinnlich – diese Rolle verlangt einer Musicaldarstellerin so vieles ab. Und mit Luna Manzanares Nardo gelingt den Produzenten ein echter Coup. Luna Manzanares Nardo überträgt zwei Stunden lang das unbändige Feuer der Verführerin Carmen, die keine Prinzipien kennt, auf die Zuschauer.
Kein Mann kann die temperamentvolle und schnell von den Männern gelangweilte Carmen einsperren, für keinen wird sie sich jemals ändern.
Luna Manzanares Nardo lässt ihre Hüften erotisch kreisen und spielt dabei auf einem höchsten Niveau. Und wie wunderschön sie doch dabei singt! Ihre gewaltige Stimme klingt tief und rebellisch zugleich, passend zu ihrer Rolle. Dieses Funkeln in den Augen, diese beim Sprechen bebenden Lippen – dies alles kann man nicht spielen, dies muss man fühlen.
Luna Manzanares Nardo stirbt förmlich für ihre Rolle – und das tut es ihre Figur am Ende auch, ironischerweise in einem unschuldigen Weiß und nicht in ihrer Lieblingsfarbe Rot, die sich bis dato in jede Kleidung eingeschlichen hatte.
Der Musicaldarsteller Saeed Mohamed Valdés schafft es, sowohl schauspielerisch als auch gesanglich perfekt den Soldaten José zu verkörpern. Ich als Carmen-Liebhaberin habe schon viele Josés auf der Bühne erleben dürfen, doch das ist für mich bis jetzt die beste Umsetzung der Figur José, die von Carmen ins Verderben geführt wird.
Bis zu seiner Begegnung mit Carmen war José ein anständiger Soldat, der seine Mutter vergötterte und seiner Verlobten Marilù gegenüber eine unschuldige Liebe empfunden hat. Doch wie so viele Männer vor ihm erlag auch er Carmens Reizen. Und wie so viele andere Männer zuvor wollte auch er Carmen zähmen und zerbrach daran. Nach Carmens Liebe verzehrend und vor Eifersucht tobend, das alles erkannte man in dem Schauspiel und dem Gesang von Saeed Mohamed Valdés.
Cristina Rodriguez Pino war für mich und, wie ich an dem Applaus des Publikums erkennen konnte, für einige andere im Zuschauersaal der heimliche Star an diesem Abend. Dank ihr kam jeder Opernfan an diesem Abend auf seine Kosten, denn die ausgebildete Opernsängerin ließ mit ihrer glockenhaften Stimme bestimmt viele mitfühlenden Zuschauerherzen zerbrechen. Wer fühlte denn nicht mit Marilù? Ein unschuldiges Mädchen, das Josés Mutter treu ergeben und bereit war, ihrem José alles zu verzeihen und ihn weiterhin innig zu lieben.
Für viele weitere Gänsehautmomente im Zuschauersaal sorgte Albita Rodriguez als La Señora.
Die Erzählerin La Señora führte den Zuschauer in das mystische Leben Kubas ein, indem sie den dort praktizierten Katholizismus mit dem dort vorherrschenden Aberglauben auf der Bühne verband. Zurecht stand mit einer ebenfalls schauspielerisch und gesanglich starken Albita Rodriguez eine zweifache Emmy- und Grammygewinnerin auf der Bühne.
War Josés Widersacher in der klassischen Opernfassung noch ein Torero, wird er in dem Musical zum Boxer El Niño, was auch viel besser zu Kuba passt.
Bei dem professionellen Schauspiel und Gesang Joaquín García Mejías' merkte man genau, dass er Leadsänger in vielen kubanischen Salsa-Bands ist und sich auch privat mit kreischenden Fans auskennt.
Bizets Opernmelodien findet der Opernliebhaber in dem Musical wieder, auch wenn diese als kubanische Rhythmen in einem zeitgemäßen Salsa- und Mambogewand von der 14-köpfigen Latin-Big-Band unter der Leitung des Dirigenten Hector Martignon großartig gespielt werden.
Ich hörte einen im Publikum sagen: „Genauso ist es wirklich in Kuba, sie tanzen dort den ganzen Tag.“
Und wie sie tanzen. Die Tänzer der staatlichen Ballettschule in Havanna (Escuela Nacional de Ballet) bewegten sich nicht bloß zur Musik, sie wurden mit dieser eins. Die Musik wurde zu ihrer Sprache und sie setzten die Choreografie Roclan González Chávez leidenschaftlich und euphorisch um.
Und auch das Bühnenbild und die Kostüme von Tom Piper waren sehr wahrheitsgetreu und untermalten Kubas Lebensgefühl. Trotz der schwierigen Wirtschaft im Land, die sich in den Häuserfassaden auf der Bühne widerspiegelte, lassen sich die Kubaner genauso wenig wie Carmen von irgendjemandem zähmen.
Mein Fazit: Das Musical „Carmen la Cubana“ bietet dem Zuschauer ein audio-visuelles Feuerwerk. Ich kann mir jetzt keine andere Carmen mehr vorstellen. Diese gewaltigen Stimmen der Darsteller, diese authentische Darstellung der Figuren, diese herrliche Musik, diese Lebensfreude der Tänzer und dieses wahrheitsgetreues Bühnenbild machen das Musical zu einem Gesamtkunstwerk.
Ich hoffe inständig, dass ich alle Beteiligten noch einmal in Deutschland live erleben darf. Und wer weiß, vielleicht werden sie demnächst auch meine beiden anderen Lieblingsopern – Verdis „Aida“ und Puccinis „Madame Butterfly“ - neu interpretieren?!
Das Musical läuft noch bis zum 14. Oktober 2018 im Admiralspalast und zieht danach nach München weiter.
© E. Günther ("Mein Event-Tipp")