ERSTE STAFFEL. 20 JAHRE GROSSER BRUDER von Boris Nikitin
Premiere: 19. September 2020 Staatstheater Nürnberg
Zum Inhalt: Kurz nach der Jahrtausendwende. Schröder ist Kanzler, Britney Spears in den Charts, Mohammed Atta ein unbekannter Student in Hamburg. Und eine Handvoll Unbekannter bezieht einen Container, um sich vom TV-Publikum beobachten zu lassen. Ein scheinbar harmloser Wettbewerb, der einen ungeahnten – und heute fast vergessenen – Skandal und Medien-Hype auslöst. Es ist der Beginn eines neuen Zeitalters, den Nikitin rekonstruiert: Das Private wird schamlos zur Schau gestellt, Sichtbarkeit wird zur neuen Arbeit und Aufmerksamkeit zur Leitwährung. Aus Realität ist Reality geworden – mit allen Konsequenzen.
Mit Süheyla Ünlü, Tjark Bernau, Yascha Finn Nolting, Maximilian Pulst, Cem Lukas Yeginer
Regie: Boris Nikitin Bühne und Kostüme: David Hohmann Dramaturgie: Sascha Kölzow Musik, Sounddesign: Matthias Meppelink Video: Manuela Trier, Georg Lendorff Webserie: Patrik Thomas Licht-Design: Frank Laubenheimer
Der Theaterabend, der auf einer Webserie basiert und im Sommer zwischen den Lockdowns vor nur 50 Zuschauern Premiere feiern konnte, ist über weite Strecken ein Reenactment der Dialoge der damaligen Container-Insassen. Die sechs Schauspielerinnen und Schauspieler des Nürnberger Staatstheaterensemble, die wie Yascha Finn Nolting damals oft erst im Grundschulalter waren, sprechen die Alltags-Wortgeplänkel und oft recht banalen Äußerungen der Big Brother-Crew nach. Die Kamera folgt ihnen bis auf die Toilette oder ins Schlafzimmer. Auch wer die Sendung damals nicht gesehen hat, bekommt durch dieses Reenactment einen guten Eindruck, mit welchen ästhetischen und dramaturgischen Mitteln die TV-Show damals arbeitete.
Die Originaltexte wurden durch erfundene Passagen, die stilistisch nah an den O-Tönen bleiben, und nach der Pause mit einigen Fremdtexten, vor allem aus dem Orwell-Klassiker „1984“, angereichert. Im Kern kommt der Abend aber nicht über das Reenactment von TV-Vergangenheit hinaus, die beim Blick in gruslige Nischen des Privat-TVs kaum neue Erkenntnisse zu Tage fördert.
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