Zum Inhalt: Ein Gespenst geht um in Europa. Nein, nicht mehr der Kommunismus, sondern das, was von ihm übrig geblieben ist: die Osteuropäer. Durch kein Meer getrennt und von keiner Grenzschutzagentur abgewehrt, armutsmigrieren sie aus ihren Ländern nach Deutschland. Als wir sagten, ja, her mit den Arbeitskräften, und zwar mit hochqualifizierten, hat da irgendwer gedacht, dass auch Faule kommen können? Als wir sagten, unsere Fahne weht für die Freiheit, haben wir da Freizügigkeit gemeint? Als wir sagten, wir sind das christliche Abendland, wer hat da gehört, jeder könne sich einfach ins gemachte Nest setzen? Rumänen nehmen uns die Putzjobs weg, Bulgarinnen dumpen uns im Baubusiness und selbst das Bayerische Staatsschauspiel engagiert die billigen Arbeitskräfte.
Mit Leonard Hohm, Alfred Kleinheinz, Jörg Lichtenstein, Franz Pätzold
Regie, Bühne + Musik: Oliver Frljić Kostüme: Katja Kirn Licht: Barbara Westernach Dramaturgie: Und Übersetzung Marija Karaklajić + Götz Leineweber
Trailer „Balkan macht frei“ - Residenztheater München
Um diesen Schauspieler beneiden das Residenztheater sicher viele Häuser: Franz Pätzold schreit und tobt mit einer unglaublichen Präsenz über die Bühne, greift spontan Einwürfe aus dem Publikum auf, tigert vor der ersten Reihe herum und rückt den Zuschauern ganz nah auf die Pelle. Pätzold geht an diesem Abend an seine Grenzen: in einer langen, schwer auszuhaltenden Szene lässt er sich von seinen Mitspielern fesseln und im Stil des Waterboarding quälen. Im anschließenden Publikumsgespräch betonte Pätzold, dass diese Szene seine Idee gewesen sei, Regisseur Oliver Frljić hatte eine harmlosere Variante im Sinn. Die Stückentwicklung „Balkan macht frei“ ist ganz auf ihren Hauptdarsteller zugeschnitten. Ursprünglich wollte sich der kroatische Regisseur in der bayerischen Landeshauptstadt mit den Ressentiments gegen Migranten vom Balkan befassen, die von der CSU im Winter 2014 geschürt wurden. Als die Proben begannen, weitete sich der Fokus. Heraus kam ein assoziatives Gewitter, das sich im Marstall des Münchner Residenztheaters entlädt. Die Anfangsszenen sind räumlich und zeitlich noch klar zu verorten: Pätzold spielt das Alter ego des Regisseurs Frljić, der drei aalglatten Typen gegenübersitzt, die ihn von oben herab behandeln und gönnerhaft als Balkan-Exoten und bunten Farbtupfer für ihr Theater engagieren wollen. Weiterlesen