Zum Inhalt: In der Nervenklinik des Psychiaters Dr. Prentice geht es zu wie im Irrenhaus. Alles beginnt mit einem Bewerbungsgespräch, während dessen Dr. Prentice der Sekretärin Geraldine mehr als #MeToo-verdächtige Annäherungsversuche macht. In flagranti ertappt werden sie von seiner Frau, die allerdings eine eigene Affäre zu vertuschen sucht. Es entspinnt sich eine atemberaubende Jagd von sechs Figuren nach passenden Kleidungsstücken, passenden Ausreden und dem passenden Geschlecht, bei der beinahe ein Polizist ermordet wird und alles mit Winston Churchills Penis endet.
Was wie eine furios boulevardeske Verwechslungskomödie wirkt, in der kein Klischee und kein Seitensprung ausgelassen werden, entpuppt sich schnell als eine bitterböse Farce, in der bürgerliche Moralvorstellungen unterwandert und Tabus gebrochen werden. Orton, der in den 1950er- und 1960er-Jahren in Großbritannien offen schwul lebte, schreibt aber nicht nur über queere Themen, sondern spottet auch wortwitzig über die zwanghafte Pathologisierung von Lebensentwürfen jenseits der gesellschaftlichen Norm. Mit seinem bissigen Stil und dunklen Humor zählt er zu den einflussreichsten britischen Dramatiker*innen des 20. Jahrhunderts.
Inszenierung: Bastian Kraft Bühne: Wolfgang Menardi Kostüme: Inga Timm Musik: Polly Lapkovskaja Licht: Hannes Gambeck Video: Jonas Alsleben Dramaturgie: Constanze Kargl
[justify]Herausragendes leisteten an diesem Abend vor allem die Kostüm- und Maskenbildner*innen: Juliane Köhler (Psychiater Dr. Prentice) und Charlotte Schwab (Gutachter Dr. Rance), Grandes Dames des Residenztheater-Ensembles, sind kaum wiederzuerkennen, wenn sie als alte Männer, die ihre Notgeilheit zwischen wissenschaftlichen Phrasen und psychoanalytisch-freudianischem Fachjargon verstecken. Nicht weniger eindrucksvoll sind Kostüm und Make-Up von Florian von Manteuffel als exzentrisch-nymphomanische, langbeinige Psychiater-Gattin mit Schmollmund und Christian Erdt, der als Geraldine Barclay jedes Klischee der naiv-unschuldigen, blonden, großbusigen Sekretärin erfüllt.
Die Türen klappern in Wolfgang Menardis Bühnen-Setting wie im Ohnsorg- oder Bauerntheater. Joe Orton, das viel zu früh verstorbene Enfant terrible der britischen Theaterszene parodiert die Boulevard-Komödien und ihre Verklemmtheiten. In seiner temporeichen Persiflage auf eine Farce lässt er sich voll auf das Genre ein und überspitzt jede Szene, bis auch dem letzten Zuschauer überdeutlich wird, wie fragwürdig und zeitabhängig die Normen sind, in denen sich das sexbesessene, promiskuitive Figuren-Personal dieses Abends verheddert. Bastian Kraft dreht die Schraube noch weiter. In der radikal künstlichen Welt dieses Irrenhauses „voller Klischees und greller Unwahrscheinlichkeiten“ (Bastian Kraft in seinem Programmheft-Essay „Das ist doch (nicht) normal“) wird die Travestie zum Leitmotiv. Unter all den üppigen Fake-Brüsten und Riesen-Umschnall-Dildos klafft der Abgrund.
„Was der Butler sah“ ist nicht so metatheatral-verkopft wie Krafts Resi-Debüt „Lulu“ (2019) an selber Stelle, bei dem Köhler und Schwab auch schon als Cross-Dresser auftraten. Der Abend lebt von der tollen Vorlage, die der designierte Volksbühnen-Intendant René Pollesch glänzend übersetzt hat: in distinguiertem Ton verhandeln die Figuren ihre Geilheit. [/justify]
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