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1. Akt, 2. Szene
Der Sohn allein.
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DER SOHN: (geht zum Fenster und öffnet es. Die Abendsonne scheint)
Dort unten, tief und herrlich ohnegleichen,
Sind Wundernächte, die mich nie erreichen
Im dumpfen Raum, der meine Kindheit sah.
Ihr Büchersehränke und ihr Schülerhefte,
Erhebt euch, süße, zauberische Kräfte
Und du, mein erster Weg nach Golgatha.
Die Sonne sinkt. Riviera meiner Träume,
Im Tenniskleide, wo ich dunkel stand — :
Ich ruf euch her, ihr Wege und ihr Bäume,
Du Sonntagsball in meiner Kinderhand!
O komm, im Schweben eines Nachbarhauses,
Liebliches Mädchen, das ein Gruß entzückt;
Steig auf, Geruch des festlichen Geschmauses,
Hast oft den Einsamen zur Nacht beglückt.
In meinem alten Zimmer will ich knieen —
Mein ganzes Leben stürzt in diesen Saal:
Mein Tisch, mein Stuhl, ihr Wände sollt nicht fliehen —‐
O Erde, nimm mit mir das Abendmahl!
(Er kniet nieder mit ausgebreiteten Armen.)
Vergebens klopf ich an dem bronzenen Tore
Das mein Gefängnis von den Gärten trennt,
Musikkapellen und den Tanz im Ohre,
Ein armer Körper, der am Staub noch brennt
Und doch, ich lebte, lebte unermessen,
Auf diesem Boden, den ich nie besessen
Das Leben grenzenloser Sehnsucht hin.
Und hab ich nicht die Kraft, es zu erringen
Will ich mich rückwärts in die Leere schlingen,
Aus der ich mutlos nur gelandet bin.
Hinauf denn, seidne Schnur, mich zu vernichten!
Ich habe nie geliebt und bin allein.
Du letzter Kreis von sterblichen Gesichten —
Beflügle mich zu einem neuen Sein!
(Er hat eine grüne Schnur aus der Tasche gezogen und am Fenster befestigt.)
Grünes Geschöpf aus fremder Menschen Hände:
Was überwältigt mich dein Anblick so?
Bin ich nicht auch ein Mensch — ist das das Ende —
O Abendsonne! Herz, ich bin so froh.
Mußt du mich hier an dieser Stelle finden!
Hand läßt nicht los, und Erde will nicht schwinden.
Ein unbekanntes Feuer macht mich beben —
In dieser Stunde kehrt mein Herz sich um:
Ich bin bei euch —: so will ich mit euch leben!
Wo ist dein Stachel, Tod — — — — Elysium — —
(Er taumelt, von großer Erregung übermannt, rückwärts ins Zimmer.)
Geheimnis, du bist auch in mir entsprungen!
Ich ohne Frauen, die niemand kennt;
Ich fühle Arme, die einst mich umschlungen,
Ein süßes Gesicht meinen Namen nennt.
Ich höre im drohenden Abendwind
Viele, die arm und unglücklich sind;
Ich seh im Sorge ein Kind, das schwebt:
Ich weiß, daß viel Leid und viel Freude lebt.
Vielleicht ist auf dieser Erde weit
Noch ein Trost, eine Brücke zur Seligkeit —
Ich will nicht sterben mit zwanzig Jahren.
Ich muß noch leben. Ich muß das erfahren.
(Er kommt zum Fenster zurück. Die Sonne geht unter.
Unendliches Gefühl! Du gabst ein Zeichen.
Das Wunder soll mein erster Glaube sein.
Konzert und Stadt — ich werde euch erreichen!
Mein Auto naht im Dämmerschein.
Ich bin in Logen, ich werde soupieren
Mit Schauspielerin und Champagnerwein;
Bei einer Fürstin in London sein,
Und die Brillantnadel wird mich zieren.
Ich werde ein neues System entdecken,
Mit dem Fallschirm stürzen aus einem Haus.
Mein Schauspiel wird Parterre erschrecken:
Ich werde leben! O Gold! O Applaus!
Zerreiße denn, Schnur, und vergehe statt meiner ‐—
Ihr aber, Gestalten des Abendscheins,
Gebt mich noch einmal, beglückter und reiner,
Zurück an die Freude des ewigen Seins!
(Er zerreißt die Schnur und wirft die Stücken aus dem Fenster.)