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4. Akt, 4. Szene
Lena und die Gouvernante
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LENA: Ja, jetzt! Da ist es. Ich dachte die Zeit an nichts. Es ging so hin, und auf einmal richtet sich der Tag vor mir auf. Ich habe den Kranz im Haar – und die Glocken, die Glocken!
(Sie lehnt sich zurück und schließt die Augen.)
Sieh, ich wollte, der Rasen wüchse so über mich und die Bienen summten über mir hin; sieh, jetzt bin ich eingekleidet und habe Rosmarin im Haar. Gibt es nicht ein altes Lied:
Auf dem Kirchhof will ich liegen
Wie ein Kindlein in der Wiegen ...
GOUVERNANTE: Armes Kind, wie Sie bleich sind unter Ihren blitzenden Steinen.
LENA: O Gott, ich könnte lieben, warum nicht? Man geht ja so einsam und tastet nach einer Hand, die einen hielte, bis die Leichenfrau die Hände auseinandernähme und sie jedem über der Brust faltete. Aber warum schlägt man einen Nagel durch zwei Hände, die sich nicht suchten? Was hat meine arme Hand gethan? (Sie zieht einen Ring vom Finger.) Dieser Ring sticht mich wie eine Natter.
GOUVERNANTE: Aber – er soll ja ein wahrer Don Carlos sein.
LENA: Aber ein Mann –
GOUVERNANTE: Nun?
LENA: Den man nicht liebt. (Sie erhebt sich.) Pfui! Siehst du, ich schäme mich. – Morgen ist aller Duft und Glanz von mir gestreift. Bin ich denn wie die arme, hülflose Quelle, die jedes Bild, das sich über sie bückt, in ihrem stillen Grund abspiegeln muß? Die Blumen öffnen und schließen, wie sie wollen, ihre Kelche der Morgensonne und dem Abendwind. Ist denn die Tochter eines Königs weniger, als eine Blume?
GOUVERNANTE: (weinend) Lieber Engel, du bist doch ein wahres Opferlamm.
LENA: Ja wohl – und der Priester hebt schon das Messer. – Mein Gott, mein Gott, ist es denn wahr, daß wir uns selbst erlösen müssen mit unserm Schmerz? Ist es denn wahr, die Welt sei ein gekreuzigter Heiland, die Sonne seine Dornenkrone und die Sterne die Nägel und Speere in seinen Füßen und Lenden?