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4. Aufzug
Gemach der Königin. Rhodope allein.
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RHODOPE:
Oh, einen Augenblick Vergessenheit!
Wozu das Rätsel ewig wiederholen?
Es wird ja bald gelöst. – Ich sollt' es machen,
Wie meine Mädchen, die zum Zeitvertreib
Auf alle Töne horchen und sich streiten,
Von welchem Vogel jeder kommt, und ob
Der rot ist oder grün. – Welch ein Geräusch!
Ist Karna da mit ihm? Still, alles still.
Es war wohl nichts. – Wie hab ich mich verändert!
Wann fragt' ich sonst den Schall nach dem Woher,
Mich schreckte nichts, mich schreckte nicht einmal
Des Feuers Glut, und wenn sie noch so rot
Am Himmel aufstieg und sich noch so drohend
Verbreitete: ich wußte, daß ein Kreis
Von treuen Wächtern, unsichtbar um mich
Herum gereiht, des Königs Lieblingstochter
Mit Blut und Leben schirmte. Jetzt – ein Schritt!
Sie sind's! Ja, Karna ist so klug, als tapfer;
Das hört' ich stets, und heute soll ich's sehn.
Noch nicht! Vielleicht auch gar nicht! Nein, Ihr Götter,
So grausam werdet Ihr nicht sein. Ich will
Ja nicht, daß Ihr die Hand mir reichen sollt,
Um mich am Rand des Abgrunds festzuhalten,
Ich will nur sehn, wer mich hinunterstößt.
Je mehr ich sinne, um so weniger
Begreif ich meinen Gatten. Hört' ich's doch
In frühster Jugend schon, daß die Befleckte
Nicht leben darf, und wenn mich das als Kind
Durchschauert hat, jetzt habe ich den Grund
Für dies Gesetz in meiner Brust gefunden:
Sie kann nicht leben, und sie will's auch nicht!
Gilt das für ihn allein nicht? Oder will er
Den Frevler heimlich opfern, weil er hofft,
Mir seine Missetat noch zu verbergen?
Habt Dank, Ihr Ewigen, auch das kann sein!
Und findet Karna den Entflohnen tot,
Den kalten Dolch in seiner heißen Brust,
So weiß ich, wessen Hand ihn niederstreckte,
Und frage niemals mehr, wo Gyges blieb!