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Fremde Seelen

Bewertung und Kritik zu

FREMDE SEELEN 
Eva-Maria Bertschy (Palermo)
Premiere: 27. Juni 2024 (Beluard Bollwerk) 
Deutschland-Premiere: 5. November 2024
euro-scene Leipzig

Berliner Autor:innentheatertage (2025) 
14. & 15. Juni 2025 (Deutsches Theater Berlin)

Zum Inhalt: FREMDE SEELEN ist eine Ermittlung. Und wie jede Ermittlung ist sie von dem Wunsch angetrieben, Licht in gewisse Sachen zu bringen, die auf unerklärte Weise geschehen sind: der Suizid eines Pfarrers vietnamesischer Herkunft in einem kleinen Dorf in den Schweizer Voralpen zu Anfang der 2000er Jahre – nur drei Jahre nach seinem Amtsantritt. Es ist das Dorf der Mutter von Eva-Maria Bertschy. Diese Geschichte bildet den Ausgangspunkt eines üppigen dokumentarischen Werks, das die Regisseurin in mehreren Szenerien und mit unzähligen Stimmen aufspannt. Ihr Partner, der Musiker Kojack Kossakamvwe, und die bekannte Tatort-Schauspielerin Carol Schuler treffen auf Schwester Nang, die Mutter, einen Pfarrer, den Kirchgemeinderat, einen Chor und besprechen, bezeugen und besingen eine Geschichte, in der denjenigen Gewalt angetan wird, die als die Fremden gelten.

Die Schweizer Dramaturgin und Regisseurin Eva-Maria Bertschy recherchiert mit einem transnationalen Team zwischen lokaler und globaler Geschichte. Im Spannungsfeld von Familiengeschichte, Glaubensfragen, Migration, Rassismus und kultureller Identität weben sie auf der Bühne eine vielschichtige Erzählung, die über das Leben des Priesters spekuliert und gleichzeitig die eigenen Berührungspunkte und Erfahrungen mit dem Fremdsein und Fremdfühlen erforscht.

Konzept + Text + Inszenierung: Eva-Maria Bertschy
Performance: Carol Schuler, Kojack Kossakamvwe
Mit: chorbeau – der deutschfranzösische Chor Leipzig
Mit einem Lied gesungen von: Lan Franière
Kostüme + Bühne: Ersan Mondtag
Bühnen- und Kostümassistenz: Lorenz Stöger
Musikalische Leitung + Komposition: Kojack Kossakamvwe
Lichtgestaltung: Sylvain Faye
Sounddesign: Fabien Lauton
Outside Eye + dramaturgische Unterstützung: Julia Reichert

2 Bewertungen

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Fremde Seelen von Eva-Maria Bertschy
3 Monate her.
Kritik

''Schuler steht dabei schlicht in Rock und Bluse gekleidet barfuß in einem runden Wasserbecken, das an der Rückseite wie ein großes Medaillon eine runde Landschaftsvignette mit Kirche und Bergen zeigt. Sie trägt Pappsteine ins Becken und erzählt von der Ankunft im Dorf und der Suche nach dem Friedhof. Franz Hoang wünschte sich einen einfachen Stein für sein Grab, was ihm der Pfarreirat nicht gewährte. Nach dem Motto: „Wie hätte das denn ausgesehen…“. Die Engstirnigkeit der Mutter bringt sie ebenso schön zum Ausdruck wie die Volkstümelei der Pfarreirats Alois, der den Pfarrer immer zum Pilze suchen mit in den Wald nahm. Sonst hatte Franz Hoang außer zu den Predigten kaum Kontakt zu den Einheimischen, er kam auch nicht mit den Kindern beim Religionsunterricht klar und fühlte sich einsam im Pfarrhaus. Schuler wechselt in ihrer Erzählung von Französisch zu Deutsch und Schweizerdeutsch. Die Geschichte setzt sich langsam wie ein Puzzle zusammen, immer wieder unterbrochen durch Musikeinlagen und kurze Gespräche zwischen Carol Schuler und dem Musiker Kojack Kossakamvwe, der sehr kunstvoll auf einer Doppelhals-Gitarre spielt.

Bertschy hat auch immer wieder kurze Fremdtexte u.a. von Paul Celan oder Hannah Arendt über Verlorenheit und Selbstmörder oder Schweizer Liedgut zum Thema Heimat eingefügt. Die Angst die Heimat zu verlieren, zieht sich von der Flucht der vietnamesischen Bootpeople mit der Cap Anamur ab 1979 bis in die Schweizer Berge, wo Alfons Aeby dichtete: „Herrgott, Herrgott, mache um unser Ländli in der Not ein Wändli, dass uns niemand die Heimat stiehlt.“ Als vietnamesische Schwester erzählt Carol Schuler so eine Flucht aus Vietnam in die Schweiz, sofort am Flughafen konfrontiert mit der Bürokratie eines Grenzbeamten, gespielt von Kojack Kossakamvwe, der sich sonst immer auf der anderen Seite des Schalters sieht. Dazu wird Gemüse geschnippelt und asiatisches Essen bereitet.

Schuler schafft es mit ihrer komödiantischen Ader, diesen schweren Stoff leicht rüberzubringen. Später öffnet Kossakamvwe das Landschaftsmedaillon, woraus ein dreiteiliger Spiegel wie ein Altar entsteht und mit Licht und Wasser Spiegelungen erzeugt. Gemeinsam mit dem Chor entsteht so etwas wie ein Alpengospel. Schuler bläst sogar auf einem Alphorn. Der Text geht vom Allgemeinen ins Private auch der Autorin, die mit dem kongolesischen Musiker leiert ist, befragt Glaubenverlust und Wunsch nach Transzendenz, den Alltagsrassismus und Wandel in der Schweiz wie den im einst von Europäern kolonisierten Vietnam. Das ist recht viel für 100 Minuten aber keine Sekunde langweilig.'' schreibt Stefan Bock am 15. Juni 2025 auf KULTURA-EXTRA

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Postmigrantische Spurensuche mit Musik
3 Monate her.
Kritik

Von der Enge eines Schweizer Bergdorfs und Rassismus erzählt Eva-Maria Bertschy, inspiriert von einer wahren Begebenheit. In den vergangenen Jahren arbeitete sie öfter mit Milo Rau, dem aktuellen Intendanten der Wiener Festwochen, und in der kongolesisch-schweizerischen Kollektiv GROUP50:50.

„Fremde Seelen“ ist ihre erste Arbeit, bei der sie für Text und Regie allein verantwortlich ist. Das Zürcher Theater Neumarkt und das Vorarlberger Landestheater Bregenz produzierten sie gemeinsam mit den beiden Festivals Belluard Bollwerk International und euro-scene Leipzig, bei den Autor*innentheatertagen gastiert der Abend an diesem Wochenende in der Kammer des DT Berlin.

Prominente Unterstützung hat sich Bertschy für dieses Stück eingeladen: das Bühnenbild stammt von Ersan Mondtag, der vor wenigen Wochen sein Theatertreffen-Comeback mit „Double Serpent“ feierte. Die kreisrunde Wasserfläche auf der dunklen Bühne ist kein so alptraumhaftes Setting, wie wir es aus seinen eigenen Inszenierungen gewohnt sind, die mit Mystery- und Horror-Motiven spielen. Carol Schuler, ab 2017 einige Jahre mit Herbert Fritsch an der Schaubühne und seit 2020 Zürcher „Tatort“-Kommissarin, ermittelt auch hier in einem Todesfall.

Aus Personalnot wurde ein vietnamesische Pfarrer in das Bergdorf versetzt, in dem die Protagonistin aufgewachsen ist. In Rückblenden werden die Flucht der Boat People mit der Cap Anamur und das schwierige Fußfassen und Nichtankommen in der neuen Heimat erzählt. Beispielhaft zeigt sich das im Ton des Nachrufs auf den Pfarrer im Blättchen der Kirchengemeinde.

An einer Pilzvergiftung soll der Pfarrer gestorben sein. Hat er sich nach nur vier Jahren im Dorf das Leben genommen? Um diese Fragen kreist Schulers Figur. Aufgelockert wird die postmigrantische Spurensuche durch viel Musik: Schuler wird von Kojack Kossakamvwe, Lebenspartner der Regisseurin, begleitet, tritt mit ihm immer wieder in einen deutsch-französischen, übertitelten Dialog zu Rassismus und Fremdheit. Ein Highlight der Inszenierung sind die französischen Lieder, mit denen ein Chor in der zweiten Hälfte das Geschehen kommentiert. Wie in der Einführung zu hören war, handelte es sich nicht um die Premierenbesetzung, sondern um einen Leipziger Chor, der schon bei den euro-scene-Gastspielen im Einsatz war und lautstark jubelnde Unterstützung mitgebracht hat.

Weiterlesen: https://daskulturblog.com/2025/06/15/fremde-seelen-att-kritik/

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