Zum Inhalt: »Das, wovon man losgerissen wurde oder sich losreißen wollte, bleibt ein Bauteil dessen, was man ist.«Die Erzählung beginnt mit einem Ende: Der Tod des Vater führt Didier Eribon zurück in seine alte Heimat, in der er seit dreißig Jahren nicht mehr war. Er besucht seine Mutter, schaut sich mit ihr alte Bilder an und arbeitet die Familiengeschichte auf; eine Geschichte von Besatzung, Krieg, Zerstörung, Arbeiterbewegung und Entfremdung – eine Geschichte Frankreichs. In Eribons hybrider Erzählung verwischen die Gattungsgrenzen, mal ist sie soziologische Studie, mal emotional-biografische Erzählung eines im homophoben Umfeld aufwachsenden Jungen und mal ist sie reine Poesie.
Mit: Antonia Bockelmann, Campbell Caspary, Laura Friedmann, Nicolas Lehni, Justus Maier, Sabine Orléans, Jörg Ratjen und Nicki von Tempelhoff
Regie: Thomas Jonigk Bühne: Lisa Däßler Kostüme: Esther Geremus Musik: Mathis Nitschke Choreografie: Teresa Rotemberg Licht: Jan Steinfatt Dramaturgie: Sarah Lorenz
''Auf der Bühne liegen stapelweise Bücher der deutschsprachigen Übersetzung von Rückkehr nach Reims (erschienen 2016 bei Suhrkamp). Sie werden in einer fabrikähnlichen Situation choreographisch ausdrucksstark von fünf Arbeitern (einschließlich Vater und Mutter) etikettiert und überprüft. Eine Ebene über den Arbeitern lässt Jonigk den jungen Autor diesen Prozess mit einem stolzen Freudentanz quittieren. Damit zeigt Jonigk dramaturgisch eindrücklich, dass Eribon dieser Klasse flüchtig wurde und gleichzeitig mit seinem Werk etwas ausdrückt, was für diese Klasse hohe Relevanz haben könnte.
Analog zum Buch steigert sich ein anlassloser Rassismus mit politischen Unsicherheiten in der dargestellten monotonen, sterilen und kalten Fabrik. Das System, in dem wir uns bewegen, wird von den Fabrikarbeitern als strukturell grundlegend ungerecht wahrgenommen. Die politische Klasse leidet unter großem Vertrauensverlust. Die Mechanik der Fabrikarbeit und die Steigerung des Tempos bis zur Raserei erinnern an Charlie Chaplins Figur in Moderne Zeiten.
Doch diese Entfremdung der Arbeiterschaft mündet nicht in eine kommunistische Revolution. Stattdessen werden bald Meinungen der Arbeiter einschließlich von Eribons Eltern langsam in Unterbrechungen gesprochen und dadurch auf alberne Weise in Zeitlupe vorgeführt. Durch eine derartige Verfremdung wird ihren Argumenten jedoch nichts entgegengesetzt, wie auch einst beim Fernsehhistoriker Guido Knopp kritisiert. Es folgt ein langatmiger Monolog des soziologisierenden, penetrant nervösen Hemdes der älteren Eribon-Figur. Dieser behauptet, er habe ein Verdikt der Sexualität, das ihn einst isolierte, gegen ein Verdikt der sozialen Heimat, das ihn genauso ausgrenzte, ausgespielt. Trotzdem leide er weiterhin teilweise unter der doppelten Stigmatisierung. Somit wird bis zum Schluss auch keine Gelegenheit ausgelassen, sich als Opfer zu gerieren. Der anregungsreiche Abend hat insbesondere aufgrund der ausdrucksstarken Ensembleleistungen hohen Unterhaltungswert, ohne jedoch mit den Ansichten, Theorien und (Selbst-)Analysen Eribons vollends zu befrieden.'' schreibt Ansgar Skoda am 21. Januar 2019 auf KULTURA-EXTRA