Kritik
Die Einsamkeit der Neinsager
Zum Widerstand gehört es Nein zu sagen. Doch wer Nein sagt, kündigt auch die Gemeinschaft auf. Er stellt sich gegen die Anderen und muss sich selbst alleine seiner Meinung vergewissern. Seine eigene Standortbestimmung gerät zu einem Konflikt mit dem Gegenüber. Was bedeutet das widerständige Nein-Sagen für den Einzelnen? Und für die Gemeinschaft? Mit diesen Fragen beschäftigte sich Klaus Heinrich 1964. Auf seine heutige Gültigkeit untersucht Regisseur Henri Hüster diesen Text aus den Sechzigern. Die Fronten scheinen heute wieder klar in gut und schlecht ein zu sortieren zu sein. Wenn rechte Parolen von ihre undifferenzierte Position einnehmen, positioniert sich die andere Seite oft ebenso schnell. Doch ist die Identifikation mit allem und jedem von der einen Seite innerhalb der eigenen Blase oder die Flucht vor jeglicher Identifikation nicht zu einer Indifferenz, die jede ernsthafte Auseinandersetzung verhindert?
Die Schaumstoffblöcke auf der Bühne verstellen die Sicht auf das Ganze sehr schnell. Sie begraben Menschen sofort, wenn eine Gruppe sie zum Umfallen bringt. Sie bieten aber auch einen gemütlichen Sitzplatz, um sich auf ihnen über die geteilte Meinung auszutauschen. Sie bieten nur noch schmale Durchgänge für Einzelgänger, sie erschaffen Mauer im Denken, in der Kommunikation und bei Zugang zu Räumen. Doch sie können auch verschoben werden! Von dieser Flexibiblität lebt das Bühnenbild von Lea Burkhalter für Hüsters Inszenierung mit vier Schauspielern (Vasna Aguilar, Julia Franz Richter, Lukas Gander, Pauline Stöhr.).
Da Heinrichs Text als philosophisches Statement geschrieben wurde und damit nur bedingt für eine dramatische Umsetzung auf der Bühne eignet, hat Hüster sich etliche literarischer Texte bedient, um desssen Thesen auf der Bühne zu untersuchen. Er beginnt in der Antike. Die Frauen in Euripides "Bakchen" verfallen dem Gott Dionysos und stellen damit die bisherige herrschende Ordnung in Frage. Doch sie sind nur das Werkzeug für Dionysos. Mit ihrer Hilfe ermordet er den alten Regenten Pentheus. Ihr Aufstand ermöglicht nur die Rache eines Gottes.
In Roberto Bolanos Roman "Amuleto" sitzt eine junge Frau zufälligerweise auf dem Klo, als die Armee die Universität stürmt. Durchs pure Nichtstun auf dem Klo entgeht sie so der Verhaftung. Ihr Widerstand gegen das Militär besteht aus dem Lesen von Garcia Lorcas Gedichten hinter einer geschlossenen Toilettentür. Auch die Figur "Herr Eggge" aus Bertolt Brechts "Maßnahmen gegen die Gewalt" entschließt sich nur zum passiven Widerstand. Sieben Jahre ergibt er sich stumm der Vereinnahmung durch den Agenten, um erst nach seinem Tod laut und deutlich "Nein" zu sagen.
Hüster beweist so nicht nur durch die ausgewählten Texte, wie widersprüchlich und schwierig es ist, Nein zu sagen. Auch durch die Choreographien von Vasna Aguilar wird das deutlich. Das Hin- und Hergerissen-Sein, Zittern, Schaukeln, Vereinzelung, kurzfristiges Gruppenkuscheln, das alles bestimmt die Bewegungen zwischen den Schaumstoffmauern.
Am Ende erschallt Nein zu fast allem: "Nein zur Ordnung, Nein zu Mauern, Nein zu alten weißen Männern, Nein zum Judentum, Nein zu Israel!" Einfache Parolen verbieten sich. Doch was dann? "Die Liebe wäre doch was!" ist hinter den Wänden zu hören, die auf der Bühne ein uneinsehbares Rund geformt haben. Liebe statt Widerstand? Also doch eher die Flucht in die Utopie? Doch: "Die Utopie wird immer besser, während wir auf sie warten." Die beeindruckende Julia Franz Richter macht daraus: " Die Utopie wird immer besser, während wir auf Sie warten.", während sie verführerisch lächelnd durch die Reihen geht und zum Aufstehen und Mitgehen verleiten will. Ist Widerstand jetzt, mitzugehen oder auch dazu Nein zu sagen? Zum Schluss überprüft Hüster so den Lernzuwachs bei seinen Zuschauern.
Ein anstrengender, fordernder, einfallsreicher, versponnener und kluger Abend am Lichthof. Ein weiterer Beweis (wie bei Hüsters Vorgängerproduktion "Irre"), dafür, dass Hüster es sich, seinem Team und den Zuschauer nicht einfach macht, dass es aber ein Gewinn ist, sich auf seine Gehirn akrobatischen Zumutungen einzulassen.
Birgit Schmalmack vom 23.1.19
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