Zum Inhalt: An einer belebten Straßenkreuzung wartet ein Mann darauf, dass die Ampel auf Grün schaltet – und erblindet. Ein hilfsbereiter Passant bringt den Erblindeten nach Hause, wenig später kann auch er nicht mehr sehen. Eine rätselhafte Epidemie scheint ausgebrochen, immer mehr Menschen der Stadt werden von einem Augenblick auf den anderen blind. Um weitere Ansteckungen zu vermeiden, weiß sich die Regierung keinen anderen Rat, als die Betroffenen in einer verlassenen Irrenanstalt zu internieren. Orientierungslos, sich selbst überlassen, unfähig ihr Schicksal zu begreifen, versuchen die Blinden ihr Leben in dieser neuen Umgebung zu organisieren. Doch je mehr Menschen eintreffen, desto unerträglicher, chaotischer, gewalttätiger wird die Situation. In seinem Roman »Die Stadt der Blinden« zeichnet der große portugiesische Erzähler José Saramago – 1998 mit dem Literatur-Nobelpreis geehrt – nicht nur das realistische Bild einer plötzlichen Katastrophe, er enthüllt gleichzeitig das philosophische Universum einer allgemeinen Blindheit, in dem menschliches Handeln als gewalttätige und lächerliche Groteske erscheint.
Mit: Michael Weber, Ali Ahmad, Irene Benedict, Patrick Berg, Muriel Bielenberg, Antonia Dreeßen, Ralf Drexler, Carlotta Freyer, Sandra Gerling, Josefine Großkinsky, Rosemary Hardy, Jonas Hien, Markus John, Christoph Jöde, Matti Krause, Philipp Kronenberg, Greg Liakopoulos, Jannik Nowak, Maximilian Scheidt, Julia Schubert und Jakob Walser sowie (im Film) Linda Zervakis und Andreas Beck Regie: Karin Henkel
Regie: Kay Voges Bühne: Pia Maria Mackert Kostüme: Mona Ulrich Bühnenbildmitarbeit: Mara Henni Klimek Director of Photography: Voxi Bärenklau Videoart: Robi Voigt Komposition: Paul Wallfisch Live-Kamera: Marcel Urlaub und Philip Jestädt Live-Videoschnitt: Martin Langhof Live-Grading: Severin Renke Video: Alexander Grasseck, Antje Haubenreisser und Peter Stein Soundsampling: Dominik Wegmann Ton: André Bouchekir, Shorty Gerriets und Christian Jahnke Dramaturgie: Bastian Lomsché
Multimediale und visuell überfordernde Materialschlacht
5 Jahre her.
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Kritik
''Wie eine Heilige in einer Art Martyrium durchstreift Sandra Gerling als Frau des Arztes immer wieder die Szenerie. Später schreitet sie wie die biblische Judith mit einer Schere zum Tyrannenmord, der einen Aufstand der Blinden und den Untergang des Irrenhauses in einem Brand zur Folge hat. Rauch wabert durch den Zuschauerraum, und das Gebäude geht in durch Video und Lichteffekte erzeugten Flammen auf. „Ich bin der Welt abhandengekommen“, singt Rosemary Hardy und noch andere emotional geladene Songs. Einige wenige Szenen zeigen, neben dem Drang zu überleben, Not und Bedürfnis der Blinden nach zwischenmenschlichen Beziehungen. Wie der Arzt (Christoph Jöde), den es zur blinden Prostituierten (Julia Schubert) hinzieht. Neben der Frau des Arztes steht hier vor allem der Mann mit der Augenklappe (Markus John) als Sinnbild ungebrochener Menschlichkeit.
Die Drastik des Romans verlängert Voges nur durch die Drastik der Bilder von Schmutz, Fäkalien und Vergewaltigungsszenen in Videogroßformat. Das ist reines visuelles Überwältigungstheater, das mit seinen technischen Effekten der Wirkung des geschriebenen Wortes nicht traut. Ansonsten ist Saramagos Roman wie auch Voges Inszenierung eine schöne Studie menschlichen Verhaltens in absoluten Ausnahmesituationen und diktatorischen Systemen. Nur geht Saramogo in seinem auch als kritischer philosophischer Essay und Parabel über die menschliche Gesellschaft und deren Organisationsformen lesbaren Buchs wesentlich weiter als Voges ihm hier rein visuell folgen kann.'' schreibt Stefan Bock am 1. April 2019 auf KULTURA-EXTRA
Mit starken Bildern zeichnet Kay Voges in seiner Adaption von „Die Stadt der Blinden“, dem 1995 erschienenen Opus Magnum von Literaturnobelpreisträger José Saramago, den Zerfall der Zivilisation nach. Nach schleppendem Beginn kommen sowohl die Drehbühne als auch die Inszenierung in Fahrt: Mit geweohnt unermüdlichem Live-Kamera-Einsatz auf rotierender Drehbühne dokumentiert dieser etwas mehr als zweistündige Abend, wie die Erblindeten in einem Morast aus Kot und Kotze versinken.
Die von einer rätselhaften Epidemie Betroffenen wurden von den Machthabern in einer leerstehenden Psychiatrie interniert: von solchen Quarantäne-Maßnahmen träumten rechtspopulistische Politiker wie Peter Gauweiler auch zu Beginn der AIDS-Krise in den 80er Jahren. Hinter dem Stacheldrahtzaun, der das Publikum von Pia Maria Markerts Bühne trennt, die einer Psychiatrie im toskanischen Volterra nachempfunden ist, zerbröseln rasch die Fundamente der Zivilisation. Dort bildet sich das sadistische Terror-Regime eines selbsternannten Anführers (Maximilian Scheidt) im ersten Stock heraus, die dem Prekariat im Erdgeschoss nur gegen abgepresste Wertsachen oder erzwungene Sex-Dienstleistungen einen Anteil an den staatlichen Essensrationen abgeben.
In Großaufnahme wird die Abwärtsspirale in der „Stadt der Blinden“ live auf die Leinwand gebannt. Dies ist einer der seltenen Fälle, in denen Regisseur Kay Voges, der sich als Intendant der Volksbühne ins Gespräch gebracht hatte und nun mit dem Volkstheater Wien abgespeist wurde, für seine Form des digitalen Erzählens einen passenden Stoff fand. Seine früheren Arbeiten, v.a. „Parallelwelt“, krankten oft an akuter Substanzlosigkeit. Aus soziologischen und philosophischen Fragmenten zusammengesampelt entstanden verquaste Abende, die ihre Inhaltsleere mit Reizüberflutung zuzukleistern versuchten.
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