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    König Lear

    Bewertung und Kritik zu

    KÖNIG LEAR
    von William Shakespeare
     
    Regie: Karin Beier
    Premiere: 19. Oktober 2018 
    Deutsches Schauspielhaus Hamburg 

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    Zum Inhalt: Ein König dankt ab. Sein Reich will er unter den drei Töchtern aufteilen. Doch nicht die jeweilige Eignung der potenziellen Thronfolgerinnen für das Regierungsgeschäft soll dafür ausschlaggebend sein, sondern die Liebe der Töchter zu ihrem Vater. Der Staatsakt gerät zur Inszenierung persönlicher Gefühle, zum Wettstreit in der Kunst der Liebesdarstellung. Nur Cordelia, die jüngste, von Lear am meisten geliebte Tochter verweigert sich dem öffentlichen Gefühlstheater und schweigt. Indem sie der Sehnsucht ihres Vaters nach persönlicher Zuneigung am authentischsten entspricht, zieht sie seine ganze Wut auf sich. Lear verstößt sie. Er teilt das Reich zwischen ihren beiden Schwestern und setzt so eine Katastrophe in Gang, an deren Ende Gewalt, Chaos und Wahnsinn stehen. 
    Shakespeares wohl düsterstes Drama erzählt von der Selbstzerstörung einer Welt, die ihren Bewohnern – allen voran dem gealterten König selbst – unlesbar geworden ist. Zeichen der Macht und Zeichen der Liebe überlagern sich, verschwimmen und entziehen sich jeder Deutung. Grenzen verflüssigen sich, Regeln wirken hohl und Rituale lächerlich. Form und Inhalt der eigenen Existenz – soziale Rolle und persönliches Empfinden, Selbstentwurf und Selbstverwirklichung – klaffen so unüberbrückbar auseinander, dass der Sturz in einen apokalyptischen Naturzustand als fataler Ausweg erscheint.

    Mit Lina Beckmann, Sandra Gerling, Jan-peter Kampwirth, Matti Krause, Carlo Ljubek, Maximilian Scheidt, Edgar Selge, Ernst Stötzner, Samuel Weiss Musiker: Akiko Kasai, Yuko Suzuki

    Regie: Karin Beier
    Bühne und Kostüme: Johannes Schütz
    Kostümmitarbeit: Astrid Klein
    Musik: Jörg Gollasch
    Licht: Annette Ter Meulen
    Ton: Hans-Peter ›shorty‹ Gerriets, Lukas Koopmann
    Dramaturgie: Christian Tschirner
    Körpertraining: Valenti Rocamora I Tora
    Artistik Trainer: Jevgenij Sitochin

    TRAILER

    3.0 von 5 Sterne
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    Wenn die Uneindeutigkeit regiert
    6 Jahre her.
    Kritik

    Der König und sein Schatten schleichen gebückt in dem weißen geschlossenen Raum auf der abschüssiger Schräge an der Wand entlang. Das ist kein strahlender mächtiger Regent eines großen Reiches mehr, das sieht man sofort. Er hat seine Kraft schon lange verloren, dafür will er jetzt aber unbedingte Liebe haben, und zwar von seinen drei Töchtern vor aller Öffentlichkeit. Zwei davon liefern das Gewünschte sofort ab, wohl wissend dass sie dafür reich belohnt werden: mit einem Teil des aufzuteilenden Reiches. Doch die dritte, die jüngste, kann diese Heuchelei nicht liefern. Sie sagt einfach die Wahrheit und wird sofort enterbt. Dieser König ist scheinbar nicht nur alt sondern auch blind für die wahren Beweggründe seiner Mitmenschen. Wie zum Beweis dessen entlässt und verbannt er auch gleich noch seinen treuer Berater Kent, weil er der ihn auf seinen Irrtum hinweisen möchte. 

    Es gibt noch eine weitere Vater-Kinder-Konstellation in Shakespeares King Lear, in der die Lüge ebenfalls zu einem Fehlurteil führt. Auch hier fällt ein Vater (Ernst Stötzner) auf die Lügen eines seiner Kinder herein. Der uneheliche Sohne Edgar bezichtigt seinen Halbbruder des Mordgelüstes an dem Vater und dieser glaubt dies ohne weitere Recherche. Verstoßen und Enterben sind auch hier die Folge. Regisseurin Karin Beier (und Intendantin des Schauspielhaus Hamburg) interessieren an diesem Stoff weniger die Vater-Kind-Beziehungen als vielmehr die Auswirkungen ihres Verhaltens auf die Gesellschaft und den Staat. Die unhinterfragte Täuschung durch die Fake News der Kinder führen zur Auflösung der Normen und Regeln.

    Edgar Selge ist dieser König Lear, seine jüngste Tochter und sein Narr wird in einer Doppelrolle von Lina Beckmann gespielt. Um dieses Darsteller-Dream-Team arrangiert Karin Beier viele weitere kompetente Schauspieler. Da die Geschlechtergrenzen heutzutage verwischen, besetzt sie die beiden heuchlerischen Töchter mit zwei Männern (Samuel Weiss und Carlo Ljubek) und lässt den unehelichen Sohn Edmund von einer Frau (Sandra Gerling) spielen. Die Uneindeutigkeit nicht nur in den Geschlechterzuschreibungen soll einfache Interpretationen in Frage stellen. Dieser König ist per se kein Guter, der ohne eigenes Zutun hinters Licht geführt wurde. Er will getäuscht werden. Er teilt sein Land nach dem Grad des besten Heuchelns auf. Da kann das Volk jedes Vertrauen in gute Herrschaft durch seinen König verlieren. Die Folge, die Shakespeare hier klar vor Augen führt, ist der Wahnsinn. Den macht Beier sehr klar: Sie lässt sowohl den König wie den enterbten Sohn Edgar als zwei wahnsinnig Gewordene ohne jeden Schutz durch Kleider auftreten. 

    Beier spickt den Abend mit einer Vielzahl an politischen Bezügen. Edmund steht für die radikale Machtübernahme durch die Jungen und die gandenlose Aussortierung der Alten. Kent will dagegen die Konstituierung der alten Machtverhältnisse. Der Edgar plädiert für das Ende von Grenzen und Nationen, da sie ihre Berechtigung verloren hätten.

    Beier entwirft eine Vielzahl an Deutungsmöglichkeiten. Diese Uneindeutigkeit verzichtet auf eine klare Linie in dieser Regiearbeit, aber auch auf die provozierende Auseinandersetzung, die sie mit ihren früheren Inszenierungen stets hervorrief.

     

    Birgit Schmalmack vom 22.10.18

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    0 von 1 Person(en) gefiel diese Kritik
    Staraufgebot, aber kein überzeugendes Regiekozept
    6 Jahre her.
    Kritik
    Die Bühne von Johannes Schütz ist bis auf spärliche Requisiten fast komplett leergeräumt. Wie bei Jürgen Gosch sind auch in Karin Beiers Shakespeare-Inszenierung alle Spieler*innen beinahe während der gesamten drei Stunden mit auf der Bühne oder in der ersten Reihe neben der Souffleuse und verfolgen das Geschehen mit. Von dem Starensemble um Edgar Selge in der Titelrolle, Ernst Stötzner als Gloster (der zweite alte, abservierte, getäuschte Mann in diesem Stück) und Lina Beckmann, die sowohl die jüngste Tochter Cordelia als auch den Hofnarren von Lear spielt, ist das ein oder andere Kabinettstücken zu sehen: In unnachahmlicher Lina Beckmann-Art stakst sie als Narr mit Akkordeon durch weite Strecken des Abends, fährt zu Beginn und am Ende als Cordelia zärtlich mit ihrer Bürste durch das schüttere und im Lauf des Abends noch zerzaustere Haar ihres Vaters. Edgar Selge hält ergriffene Verzweiflungs-Monologe, Ernst Stötzner wird in einem poetischen Moment von seinem Sohn Edgar (Jan-Peter Kampwirth) über die Bühne bis zu den Klippen von Dover geführt, nachdem ihm die Feinde seine Augen ausgestochen haben. Karin Beier fehlt zur Eröffnung ihres frisch renovierten Hauses jedoch eine überzeugende Regie-Idee, wie sie die berühmte Shakespeare-Tragödie auf die Bühne bringen kann. Sie hält sich eng an die Dramaturgie der fünf Akte, die Sprache (Übersetzung: Rainer Iwersen) ist behutsam aktualisiert. Weiterlesen
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    0 von 1 Person(en) gefiel diese Kritik
    Männerfiguren zwischen Revolte, Resignation und Hoffnung
    5 Jahre her.
    Kritik
    ''Karin Beier legt hier thematisch viele Spuren aus, die aber als Ganzes nicht so recht zueinander finden wollen. So kommt es, dass zwar der Vater-Töchter-Streit sehr viel Raum einnimmt, Lina Beckmann als Cordelia/Narr ein paar schöne Auftritte hat, wenn sie Lear als verstoßene Tochter sanft das Haar kämmt und dem irren Alten dann als Narr die schütteren Fransen hochtoupiert. Aber der Nebenstrang um Gloucesters Bastardsohn Edmund scheint hier fast der interessantere zu sein. Das gendergeswitchte Dreigestirn, ergänzt noch um den androgynen Diener Oswald (Maximilian Scheidt) im mintgrünen kurzen Schlafanzug kämpft um die Macht im Königreich. Und wenn das Trans-Trio infernale mit schwarzer Tarnfarbe im Gesicht und wallendem Federkopfputz zum Krieg gegen Frankreich bläst, da wähnt man sich fast schon im Vorprogramm zum David-Bowie-Musical Lazarus.  So richtig findet sich da auch Edgar Selge als irrlichternder Lear nicht in die große Entertainerrolle, die er noch in Karin Beiers jüngst an der Berliner Volksbühne gastierenden Houellebecq-Inszenierung Unterwerfung inne hatte, zumal ihm am Ende, wenn alles bereits am Boden liegt, Jan-Peter Kampwirth nochmal in einer Todeschoreografie als fast schon heiner-müllerndes Orakel auf der Leiche Vergangenheit tanzend in einem langen Schlussmonolog die Show stiehlt. Das Jüngste Gericht der Jungen, die keine Erbmasse, sondern Dynamit sein wollen. Das klingt verdammt nach Nietzsche.'' schreibt Stefan Bock am 1. Januar 2019 auf KULTURA-EXTRA
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