Zum Inhalt: Er fertigt eine Liste an mit all den schönen Dingen im und am Leben. „Mein Ziel war, die Tausend zu schaffen. Und ich durfte nicht mogeln, was hieß: a. Keine Wiederholung. b. Die Sachen mussten wirklich großartig sein. c. Nicht zu viele materielle Dinge.“ Er beginnt die Liste, als er sieben Jahre alt ist, nach dem ersten Suizidversuch seiner Mutter. Weil sie nichts findet, wofür es sich zu leben lohnt, macht der Sohn ihr Vorschläge. Für den Siebenjährigen steht an Stelle eins natürlich „1. Eiscreme“. Dann liegt die Liste für ein paar Jahre vergessen in einem Karton, später zwischen Buchseiten. Immer wieder fällt sie ihm in die Hände und immer fügt er weitere Dinge hinzu. So wird die Liste auch ein Dokument seines Lebens. Als er ein Studium beginnt und sich zum ersten Mal verliebt, fügt er hinzu: „517. Mit jemandem so vertraut sein, dass man ihn nachgucken lässt, ob man Petersilien-Reste zwischen den Zähnen hat“ oder „253 263. Das Gefühl von Ruhe nach der Erkenntnis, dass es, obwohl man in der Patsche steckt, nichts gibt, was man dagegen ausrichten kann.“ Der Brite Duncan Macmillan hat einen lebensbejahenden Monolog über das todernste Thema Depression geschrieben, gänzlich unsentimental und komisch. Als Bericht eines Sohnes im Umgang mit dem Suizid der eigenen Mutter geschrieben, erzählt das Stück viel über unsere gegenwärtige Zeit: was vermissen wir in Ausnahmezuständen, von wem oder was müssen wir uns zukünftig verabschieden, und was zählt zu den schönen Dingen in unserem Leben? Was würden Sie auf die Liste schreiben?
Mit: Jannik Hinsch
Regie: Mina Salehpour Bühne: Andrea Wagner Kostüm: Maria Anderski Musik: Sandro Tajouri Licht: Richard Messerschmidt Dramaturgie: Katrin Breschke
''In Dresden sitzen die Zuschauer im Raum verteilt auf Drehstühlen im vorgeschriebenen Abstand. Jannik Hinsch bewegt sich zwischen ihnen in einer Art Weltraumanzug, dessen Helm von innen beleuchtet und mit einem Mikroport ausgestattet ist. Eine Ganzgesichtsplexiglasmaske erlaubt es dem Schauspieler, sich den Zuschauern fast intim zu nähern. Er berichtet in einer Manier, die an den Off-Erzähler in älteren Filmen erinnert, von seiner – mitunter trivialen – Biographie als Sohn einer suizidalen Mutter. Nicht die selbstmordgefährdete Mutter ist das Thema dieses Monologs, sondern deren psychische Wirkung auf ein Kind. Der Sohn stellt als Gegenmaßnahme zu den Depressionen und zum schwindenden Lebenswillen der Mutter eine Liste zusammen von „every brilliant thing“, von „all dem Schönen“, das das Leben lebenswert macht. Aber: „Die Liste hatte meine Mutter nicht gerettet. Natürlich nicht.“ Wie stets, wo es um den Tod geht, droht die Sentimentalität. Aber es ist ein Verdienst von Macmillans schönem Text und des Theaterabends, dass sie diese Gefahr umschiffen, nüchtern, ja stellenweise fast humorvoll daherkommen. Dabei wird Jannik Hinsch Einiges abverlangt. Er muss auf die Repliken der Zuschauer reagieren, geistesgegenwärtig improvisieren. Das macht er vorzüglich. Eine Zuschauerin muss aus dem Klappentext zur Reclamausgabe der Leiden des jungen Werthers vorlesen. Und fantasiert ihre „Rolle“ weiter. Jannik Hinsch findet in den Text zurück.
Szenisch passiert nicht viel. Quadratische Waben mit herabhängenden Streifen senken sich über die einzelnen Zuschauer und verstellen den Blick auf den Erzähler, der im Schutz solcher Fransen, „unsichtbar“ hochgezogen wird. Das Publikum muss Bücher, die unter den Sitzflächen deponiert waren, auf Jannik Hinsch werfen. Die „Uli“ aus dem Publikum muss mit Hinsch vierhändig Klavier spielen. All das Schöne belegt einmal mehr die Bedeutung von Songs für die Generation, der Duncan Macmillan angehört. So liefert unter anderem Daniel Johnston mit seinem Some things last a long time ein Stichwort und einen Assoziationsraum. An der Wand steht ein Fragment aus der Liste: „Wenn man nicht weiß, ob das schon das Ende ist.“ Ende.'' schreibt Thomas Rothschild am 21. September 2020 auf KULTURA-EXTRA