Zum Inhalt: Die dänische Choreografin und Tänzerin Mette Ingvartsen gehört zum künstlerischen Team der Volksbühne. In die erste Spiel- zeit startet sie mit zwei neuen Choreografien und einer performativen Konferenz: 21 pornographies, to come (extended) und The Permeable Stage. In ihnen kommt Ingvartsens Arbeit der vergangenen fünf Jahre zusammen: Die Verbindung von Sexualität, Macht und Körperpolitik. Durch die steigende Sichtbarkeit von Körpern in intimen Situationen verwischen die Grenzen zwischen Privatem und Öffentlichem.
Mit: Johanna Chemnitz, Katja Dreyer, Bruno Freire, Bambam Frost, Ghyslaine Gau, Elias Girod, Gemma Higginbotham, Dolores Hulan, Jacob Ingram-Dodd , Anni Koskinen, Olivier Muller, Calixto Neto, Danny Neyman, Norbert Pape, Hagar Tenenbaum (Alberto Franceschini, Manon Santkin)
Ungewöhnlich statisch bleibt Mette Ingvartsens Solo „21 pornographies“, die tänzerischen Elemente kommen in diesen ersten 70 Minuten des „Red Pieces“ überschriebenen Abends zu kurz. Die einzelnen, nur durch das Wort „Cut“ getrennten Leidensgeschichten weiblicher Opfer sind redundant und doch etwas zu schlicht aneinandergereiht.
Wesentlich stärker war die zweite Performance „to come (extended)“: Ingvartsen steckte ihre Tänzerinnen und Tänzer in türkisblaue, hautenge Ganzkörper-Anzüge, die nicht mal das Gesicht freiließen. In exakt choreographierten, zeitlupenartigen Bewegungen tasten sich die eigenartigen Wesen ab und beschnuppern sich zärtlich. Die Stimmung schlägt plötzlich um, das Ensemble zieht sich an den Rand zurück und pellt sich aus den Overalls. Als nackter Chor parodieren sie zunächst einen gemeinsamen Orgasmus und feiern dann zu Musik, die auf das wilde Berlin der Weimarer 20er Jahre anspielt, ausgelassen. Diese pure Lebensfreude ist ansteckend und versöhnt mit dem schwächeren ersten Teil.
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''Ingvartsen konstruierte eine Art von dramaturgischer Grundsituation, in der es solche "handelnden" Personen wie z.B. einen Präsidenten, einen Bischof, einen General, eine Dame in Schwarz, ein Mädchen in Weiß, eine Frau am Klavier u.v.a. gegeben haben sollte; ja und mit und zwischen diesen Leuten sollte halt dann Sexuelles, und in jeder auch nur denkbar möglichen Spiel- oder Abart, "durchgehandelt" sein. Ganz nebenbei konnte dann die Akteurin nicht ihr Wasser halten und tat selbstbewusst auf off'ner Bühne urinieren. Das Brutal-Finale tat sich mir dann im direkten Kontext zum berüchtigten Folterskandal von Abu Ghraib (2004) erschließen; Ingvartsen, mit einem schwarzen Sack überm Gesicht, kreiselt sich da, eine brennende Leuchtstoffröre über sich erhebend, in die Trance - sieht aus, als wenn da wer wo aufgehängt sein würde und ein anderer ihn fortwährend quasi am Haken dreht. Beeindruckend und deprimierend.
Im Sternfoyer, zwischen den zwei Performances, saßen und standen Leute umher, die meisten mit irgendeinem Getränk in der Hand; geübtes Vernissage-Verhalten, während auf der Leinwand ein paar alte Sex-Kunst-Filmchen (wo es Muschis, Schwänze und SM-Praktiken hie und da zu sehen gab) herumflimmerten.
Fremd und trostlos alles das.'' schreibt Andre Sokolowski am 14. Dezember 2017 auf KULTURA-EXTRA