Zum Inhalt: In einem Buch las ich einmal den Satz: „Es ist nicht die Art des Himmels, das Haupt zu erheben.“ Es wäre gut, wenn alle wüssten von diesem Satz, der von der Unart des Himmels spricht. Oh nein, es ist wahrhaftig nicht seine Art, herabzublicken, Zeichen zu geben den Verwirrten unter ihm. Wenigstens nicht, wo ein so dunkles Drama stattfindet, in dem auch er, dieses erdachte Oben, mitspielt. Vater und Sohn. Ein Sohn – dass es das gibt, das ist das Unfassbare. Mir fallen jetzt solche Worte ein, weil es für diese finstere Sache kein klares Wort gibt; sowie man daran denkt, kommt man um den Verstand. Finstere Sache: Denn da war mein Samen, undefinierbar und mir selbst nicht geheuer, und dann das Blut seiner Mutter, in dem das Kind genährt worden war, und das die Geburt begleitete, alles zusammen eine finstere Sache. Diese Verwirrung. Diese Öde. Wenn da eine Rechnung ist, wird sie aufgehen zu meinen Gunsten. Austreten aus dem Geschlecht, zu Ende kommen, ein Ende, dahin soll es nur kommen. (Ingeborg Bachmann)
Mit: Uwe Dag Berlin, Margarita Breitkreiz, Kerstin Graßmann, Silvia Rieger, Sophie Rois
Regie: Clemens Maria Schönborn Bühne: Barbara Steiner Kostüme: Sabin Fleck Beleuchtung: Kevin Sock Dramaturgie: Sabine Zielke
''Unverkennbar ist es Sophie Rois, die sich hier rau durch ihre Rolle als weggesperrter Prinz krakeelt, der plötzlich das Leben und die Freiheit schmeckt. Ein Kaspar Hauser, ein naiver Parzival. Augenzwinkernd und trotzig, wie es eben nur Sophie Rois kann. Wie immer spielt sie die Hauptrolle in Clemens Schönborns Inszenierung und bringt hier so etwas wie Sinn in den zerfransten Abend.
Zwar fehlt darin so ziemlich alles, was das rätselhafte, wuchtige, shakespearhafte Lehrstück um den Willen und das Wesen des Menschseins ausmacht, doch zumindest ringt Rois der Inszenierung ein kleines Vater-Sohn-Drama ab, als sie wissen möchte, was dem Vater das Recht gibt, das Leben des Sohnes einzukerkern.
Die meiste Zeit versucht der Regisseur Schönborn jedoch epigonenhaft den rotzigen Ton der Castorf- und Pollesch-Volksbühne zu imitieren. Bis sie am Ende wieder nach oben fahren: die Couch und der Fernseher vom Anfang. Jetzt quetscht sich die ganze russische und polnische Familie auf Sofa und guckt "Drei Haselnüsse für Aschenbrödel", während der Vater Kalendersprüche vom Stapel lässt.
Die Hölle, das ist die Familie, soll das wohl heißen. Für einen Höllenritt ist der Abend allerdings viel zu lau geraten.'' schreibt Barbara Behrendt auf rbbKultur
''Für Abwechslung sorgt die „bucklige Verwandtschaft“ aus Moskau. Uwe Dag Berlin, alter Kumpel von Leander Haußmann, der recht amüsiert im Publikum saß, und Ex-Schlingensief-Mimin Kerstin Graßmann raunzen sich als komisches Gespann von der Seite ins Geschehen. Da heißt es schon mal: „Du hast wohl einen Piep.“ Das Paar ist auch scharf auf den Thron in Polen. Da hätte man schon etwas mehr draus machen können. Hier reicht es für ein wenig Castorf-Parodie und ein paar schräge Witze. Ganz so ernst meint es Quasi-Regisseur Schönborn dann doch nicht. Besonders wenn der betäubte „Siggi“ slapstickhaft von allen in neue Kleider gesteckt wird. Ein paar Fremdtext-Passagen gibt es auch noch. Rois sinniert als unfreier Sigismund über einen Text von Michel Houellebecq aus dessen Roman Ausweitung der Kampfzone. Da geht es um Experimente mit Schimpansen in Käfigen.
Die Parallele schien wohl irgendwie sinnfällig. Relativ unsinnig wird der Vater-Sohn-Konflikt bei einem Makkaroni-Essen mit Limonade und Wodka ausgetragen. Pate stand hier der Karl-Valentin-Kurzfilm Der Firmling. Es wurde anscheinend nichts ausgelassen, das ganze Unternehmen der Lächerlichkeit preiszugeben. Je gröber der Unfug, umso sinnentleerter der Abend. Zu erwähnen ist noch Ex-Volksbühnen-Schauspielerin Margarita Breitkreiz, die als kampfeslustige Reiterin Rosaura viel Russisch reden darf und ihre Ehre rächend die Axt schwingt. Mächtig dräuend gibt es immer wieder große Schattenspiele am Bühnenvorhang. Ein paar Zeilen zur heutigen Zivilisationsmüdigkeit und Hunger nach Abenteuer im Gegensatz zum Glauben an das göttliche Glück im barocken Spanien gehen ebenso unter wie Ingeborg Bachmanns Ruf zum Austritt aus dem Geschlecht aus der Erzählung Alles. Eigentlich eine moderne Form des Calderónschen Vater-Sohn-Konflikts.
Da hat sich die polnisch-russische Gesellschaft schon völlig verausgabt in die Sitzecke zurückgezogen und sieht den DDR-Klassiker Drei Haselnüsse für Aschenbrödel. Es folgt eine Schleife von Alkoholiker-Weisheiten („Wo früher eine Leber war, ist heute eine Minibar.“) über Ausführungen zu Syphilis bis zu Nietzsches Dionysos-Dithyramben. Da fühlt man sich dann endgültig in einen ganz schlechten Castorf versetzt inklusive der Drohung, dass man noch eine Stunde Zeit hätte. Fünf ältere Volksbühnen-Mimen beim Abgesang. Traum und Trauma liegen da dicht beieinander. Da hilft dann auch kein Wurzelpeter mehr. „Wenn Du denkst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her“, weiß Kerstin Graßmann. In der Volksbühne wird es so aber vermutlich bald zappenduster sein.'' schreibt p. k. am 15. März 2024 auf KULTURA-EXTRA
Clemens Maria Schönborn wirft sich mit seiner Partnerin Sophie Rois und seinem Team mit viel Slapstick in die Komödie. Die knapp zwei Stunden folgen zunächst weitgehend der Handlung des Versdramas von Pedro Calderón de la Barca aus dem 17. Jahrhundert: König Basilius deklamiert Silvia Rieger mit expressionistischem Pathos, seinen lange weggesperrten Sohn Sigismund spielt Sophie Rois mit jugendlicher Naivität.
Die beiden Volksbühnen-Urgesteine Rieger und Rois stellen die charakteristischen Eigenarten ihres jeweiligen Spiels aus. Der verhandelte Stoff spielt nur eine untergeordnete Rolle und gerät in der zweiten Hälfte schließlich ganz in Vergessenheit.
Wenn Rois wie ein kleines Kind nach Maccaroni kräht, ist das ein unverwechselbarer Moment dieser großen Schauspielerin. Auch ihre Einlagen in ihrem österreichischen Heimatidiom erfreuen die Fans. Aber der Plot dieser Stückentwicklung nach klassischer Vorlage wird dünner und dünner.