Zum Inhalt: Vor 150 Millionen Jahren war es in Europa warm und feucht und riesige Brontosaurier fraßen Zypressenwipfel kahl. Vor 15.000 Jahren dann herrschte Eiszeit, die Erdoberfläche war von meterhohen Gletschern bedeckt, Leben war keines zu finden. Das weiß man. Und es erstaunt niemanden. Und auch, dass die Zeit jeden von uns totschlägt und selbst vom großen Alexander nur Staub bleibt, der ein Spundloch stopft, ist schon oft gedacht und geschrieben worden. Dass aber ein Mann, der vor 200 Jahren dem Seelenzustand einer ganzen Zeit seinen Namen lieh, nach dessen Tod sich Frauen von Klippen und Männer in Mutlosigkeit stürzten, dass dieser Mann und all seine Werke vollkommen vergessen wurden, – das ist bemerkenswert, ernüchternd und zu betrauern.
Mit: Benny Claessens, Fabian Hinrichs, Lilith Stangenberg Tänzer:innen: Christine Bach, Marten Baum, Davide de Biasi, Danielle Bezaire, Martin Buczko, Dennis Dietrich, Madlen Engelskirchen, Pauline Funke, Nele Hermann, Bianca Hüchtebrock, Iga Kowalczyk, Roman Lukyanchenko, Christine Wunderlich, Tänzer:innen des Flying Steps Diploma Programms Musiker:innen: Sir Henry, Preda Bâzga, Jugendsinfonieorchester Berlin am Georg-Friedrich-Händel-Gymnasium
Hinrichs mutiert zu einem Apostel des Pop und zitiert zwischendurch Byron
1 Jahr her.
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Kritik
''n einem endlosen Vorspiel tanzt Hinrichs zu lautem Punk wilden Pogo und bollert gegen den geschlossenen Eisernen Vorhang. Wenn er sich hebt, hockt Lilith Stangenberg in einem Supermarkt missmutig als Kassiererin an der Kasse und fertigt die Kunden ab, bis der im dunklen Anzug auftauchende Hinrichs sie nach ihren Träumen fragt. Flugs wirft sie ihren Alltagstrott ab, wünscht sich in südliche Gefilde, suhlt sich im Sand suhlt und sagt Gedichte von Paul Celan auf, während sie von Musikern und Tänzern umzingelt wird. Hinrichs mutiert derweil zu einem Apostel des Pop, malträtiert sein Schlagzeug und singt, begleitet von Sir Henry am Klavier, von Sex & Drugs & Rock´n´Roll.
Damit wir nicht ganz vergessen, um wen es eigentlich gehen sollte, erinnert er zwischendurch an Lord Byron und zitiert ein paar seiner schönsten Gedichte und Gemeinplätze über Freiheit und Liebe herbei, die stärker sind als der Tod. Der richtige Zeitpunkt, die Potemkinschen Fassaden des Supermarkts abzuräumen, die Bühne in ein Märchen aus Tausendundeinenacht zu verwandeln, König Sardanapal und seine Gattin Myrrhe in orientalische Gewänder zu kleiden und in eine Fantasiewelt aus bunten Tüchern und sanften Kissen zu entlassen. Während tanzende Rebellen Schwerter schwingen, genießt Sardanapal die erotischen Spiele in seinem Harem, süffelt köstlichen Wein und lehnt es ab, zu fliehen. "Ich will keine Angst haben!", ruft er und nimmt noch schnell ein labendes Bad.
Dann ist die Party vorbei, und er stolziert aufrecht in den Flammentod. Ganz großes Kino. Fast möchte man eine Träne verdrücken, doch schon setzt das eben noch tieftraurige Orchester neu an und intoniert Abba: "Dancing Queen", da müssen alle mitsingen und mittanzen.'' schreibt Frank Dietschreit auf rbbKultur
Die erste Stunde entwickelt sich zu einer Nummernrevue kleiner Talentproben, die allerdings nicht mal lose verbunden sind. Hinrichs und seine Tänzer*innen unterhalten mit nostalgischen Popsongs der 1990er und 2000er Jahre, Lilith Stangenberg nimmt in einem Sketch an der REWE-Supermarktkasse Platz und träumt sich aus München an den Sandstrand. Dazu wälzt sie sich in einem kleinen Sandhäufchen, das herangekarrt wurde.
So weit, so belanglos und leidlich amüsant. Mit Lord Byron und seinem Drama „Sardanapal“ hat dies nichts zu tun. In der zweiten Stunde stürzen sich Hinrichs und Stangenberg in pathostriefendem Overacting in Szenen aus dem fast vergessenen Drama, das Simon Strauß vor einigen Jahren für seine FAZ-Reihe „Spielplanänderung“ ausgrub. Die Tänzer*innen umkreisen dieses Star-Duo in elfenartigen Gewändern in merkwürdigen Ausdruckstanz-Choreographien, dazwischen gibt es etwas Akrobatik und ein paar Assoziationen zu den Byron-Bruchstücken.
Tiefpunkt dieser zweiten Hälfte ist, dass Hinrichs mit dem Textbuch durch den Abend stolpern muss. Benny Claessens war wenige Tage zuvor abgesprungen. Die Ansage der Dramaturgin Anna Heesen, bevor sich der Vorhang hob, klang nach bedauerlichem Krankheitsfall, Ulrich Seidlers wenige Stunden vor der Premiere in der Berliner Zeitung veröffentlichte Recherche berichtete von einem Eklat zwischen Claessens und Hinrichs. Viel spricht für den Wahrheitsgehalt dieser Version, denn dieser zweite Teil wirkt tatsächlich so unbeholfen und noch so weit von Premierenreife entfernt, dass es nicht verwunderlich wäre, wenn Claessens hier aus Verzweiflung die Notbremse gezogen hätte.
Fabian Hinrichs verhebt sich als Regisseur ohne Hauptdarsteller an Lord Byrons pathetischer Tragödie
1 Jahr her.
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Kritik
''Als Hinrichs dann Lilith Stangenberg fragt, woran sie so abwesend die ganze Zeit denkt, performt die einen Tanz im Sand am Strand in Italien auf die Bühne. Sie träumt sich in die Aphrodite-Grotte nach Zypern, und Celans Corona-Gedicht muss natürlich auch noch herhalten. Als wäre es genau das, was Supermarkt-Kassiererinnen so den ganzen Tag denken. Vermutlich hat darüber auch keiner weiter nachgedacht. Soviel zur Frage Sardanapals: „Wenn ich nicht ich bin, hier - wer kann ich sein? Wo?“ Der Sand wird weggefegt, und es reiht sich Nümmerchen an Nümmerchen. Es wird vorrangig Chopin und Rock’n’Roll gespielt. Sir Henry am Klavier, Hinrichs am Schlagzeug. Dazu tanzen Tänzer:innen des Friedrichstadtpalast über die Bühne. „Da ba dee da ba di“ „Ja. Rock n Roll macht Spaß!“
Da ist aber noch kein Wort aus dem Stück gefallen. Hinrichs verliert sich lieber mit Textbuch in einem schwermütigen Byron-Traum am Genfer See. Er entwirft eine Art apokalyptischen Albtraum mit einer Eigenübersetzung von Byrons Gedicht Darkness, in dem sogar die zerbombten Ruinen des Ukraine-Kriegs reinpassen. Das wäre wohl der Part von Benny Claessens gewesen. Der sonst auch nicht zimperliche Mimi dürfte sich aber bei den Zeilen „Ich hatte es geschafft, nicht mehr als 120 kg zu wiegen bei 1 Meter 73, überall war Fett“ sicher nicht besonders wohl gefühlt haben. Lord Byron werden Essstörungen nachgesagt. Was das mit dem gerne Gelage abhaltenden Sardanapal zu tun haben könnte, erschließt sich aber wie das ganze rahmende Text-Mashup nicht wirklich.'' schreibt Stefan Bock am 22. April 2023 auf KULTURA-EXTRA