Zum Inhalt: Wir befinden uns in der Dämmerung des „Age of Aquarius“, einer Zeit, in der sich ein Shift von technologischen Innovationen hin zu humanitären Anliegen und kollektiver Verantwortung vollzieht. Die Bühne ist nasses Terrain: In Schwimmbad, Sumpf und Morast bereiten sich die Erbinnen Ophelias auf Unvermeidliches vor. Nymphen, Nereiden, Sirenen und Melusinen lieben die Musik, sind exzellente Tänzerinnen und blicken in eine Zukunft, die fragil und ungewiss ist. Sie locken Menschen ins Wasser, zwingen sie in die Tiefe – und in den Spiegel der Venus zu blicken. Der wahre Ort ihrer Bedeutung liegt also im Dunkeln, ist untergegangen und auf den Grund gesunken. Nur der Fäulnisprozess bringt ihre Körper an die Oberfläche, und dort treiben sie, bis man sie findet, oder sie zerfallen, um Eins zu werden mit der Natur. In dieser ozeanischen Landschaft voll kulturgeschichtlicher Referenzen zu Wasserwesen und ertrunkenen Unbekannten geht es nicht nur darum, wie man prekäre Umstände durch Training überleben kann, sondern um die Möglichkeit, auf eine neue Lebensform zu spekulieren. Fluktuation, Reflexion, Reproduktion, Heilung und Gewalt: In Florentina Holzingers neuer Arbeit an der Volksbühne vollzieht das multidisziplinäre Ensemble aus mehreren Generationen eine physische Studie zur Psychologie des Wassers im 21. Jahrhundert.
Konzept & Regie: Florentina Holzinger Komposition & Sounddesign: Stefan Schneider, Urška Preis Bühne: Nikola Knežević Lichtdesign: Anne Meeussen Dramaturgie: Renée Copraij, Sara Ostertag Dramaturgie Volksbühne: Johanna Kobusch Live Harp: Urška Preis Live Electronics: Stefan Schneider
Meinung der Presse zu „Ophelia’s Got Talent“ - Volksbühne
Denkwürdiger Abend: Wuchtige Bilder nach Beinahe-Katastrophe und dramaturgischen Hängern
2 Jahre her.
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Kritik
Netti Nüganen ringt nach einer lebensgefährlichen Radikal-Performance um Luft. Bühnentechniker rennen herbei und Holzinger springt selbst ins Bassin, um ihre Kollegin herauszuziehen. Der Premieren-Abend schrammt nur knapp an einer Katastrophe vorbei.
Nach einem kurzen Schock-Moment entscheidet das Team „The show must go on“, doch im langen Mittelteil hängt der Abend durch und droht im seichten Gewässer zu stranden. Fünf Dramaturg*innen weist der Abendzettel aus (vier aus Holzingers Compagnie, eine festangestellte Volksbühnen-Mitarbeiterin): trotzdem – oder vielleicht gerade deswegen? – wirkt der Abend ziellos. Dies und jenes wird angetippt. Dramaturgisch ist der Abend alles andere als ausgereift: Kinder-Statistinnen werden als Crew der Piratin herbeigerufen und wirken in dem dezidiert nicht jugendfreien Abend wie Fremdkörper, eine Freiwillige aus dem Publikum zieht ebenfalls blank und planscht mit Holzingers Equipe, der Mythos von Leda und die Tragödie der Ophelia werden zitiert, doch es bleibt bei losen Fäden.
Als der Abend zu versanden droht, ziehen sich Holzinger und ihr Team am eigenen Schopf aus der Misere. In Hollywood-artigen Breitband-Szenen, mit Helikopter-Einsatz und zu Helene Fischers „Atemlos“ baut die Wiener Choreographin starke, wuchtige Szenen. Subtil ist weiterhin nichts an diesem Abend, aber die Bildgewalt kommt in der Volksbühne voll zur Geltung.
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Die Energie der Frauen ist beeindruckend, der Cast divers und integrativ
2 Jahre her.
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Kritik
''Nach der ersten misslungenen Spielzeit der Volksbühne unter René Pollesch hat die Volksbühne nun zumindest (voraussichtlich) einen Kassen- und Publikumserfolg gelandet. Schon allein des riesiges, schönen Spektakels wegen, mehr Zirkus-Kunst und Nummern-Revue als Theater. Doch auch, weil die Energie der Frauen beeindruckend ist. Holzinger arbeitet mit einem diversen, integrativen Cast – leider bleiben die Woman of Colour und die Performerin mit Trisomie Randfiguren, der Körper der kleinwüchsigen Performerin wird dagegen immer wieder gefeiert.
Intellektuell betrachtet bleibt der Abend allerdings, wie immer bei Holzinger, schrecklich unterfordernd. Fünf (!) Dramaturginnen werden auf der Homepage genannt – zu sehen ist davon: so gut wie nichts. Bei den literarischen Einsprengseln herrscht gedanklich eher Ebbe.'' schreibt Barbara Behrendt auf rbbKultur
''Bei allem Spaß an der Freud (oder dem Freud, Holzinger stammt schließlich aus Wien) verlieren die Performerinnen nicht den Ernst und die eigenen Erfahrungen aus den Augen. Da berichtet Xana Novais auf dem Wasser wie in einem Gynäkologenstuhl liegend von einer Vergewaltigung durch ihren Tätowierer, während ihr ein Schlüssel, den sie zu ihrer damaligen Befreiung fand, aus der Vagina gezogen wird. Schmerzhafte Körpererfahrung und Selbstverletzungen mit einem Oberlippen-Piercing mit überdimensioniertem Angelhaken gehören zu Holzingers Extrem-Performance, was an die Wiener Aktionisten erinnert, aber auch selbsttherapeutischer Ansatz ist. Die allgegenwärtige Livekamera von Melody Alia hält dabei immer direkt drauf. Als Schockelement fürs Publikum gibt es noch die Geburtsszene eines Feuerzeugs. Die Lunte ist da nicht weit.
Für Erleichterung im Publikum sorgt dann eine zappelige Mädchencrew, die aus dem Saal heraus die von den Frauen in einer orgiastischen Weltuntergangsszene mit besagtem Helikopterabsturz, Feuer, Wasser und Posaunen, Theaterblut, Plastikmüll von oben und Sirenengeschrei traktierte Bühne stürmt. Der Jugend die Zukunft will das besagen. Wer kann schon glänzenden Kinderaugen widerstehen. Hier erklingt eine andere Art Sirenengesang vom Fluss der ins Meer fließt. Die Volksbühne hat ihren nächsten Publikumsrenner nicht umsonst so nah am Wasser gebaut.'' schreibt Stefan Bock am 28. September 2022 auf KULTURA-EXTRA