Zum Inhalt: „Ich bin Ronald M. Schernikau, ich komme aus Westberlin, ich bin seit 1. September 1989 DDR-Bürger, ich habe drei Bücher veröffentlicht und ich bin Kommunist.“ Mit diesem Satz eröffnete Schernikau seine Rede vor dem letzten Schriftstellerkongress der DDR und fügte gleich darauf hinzu: „Die Dummheit der Kommunisten halte ich für kein Argument gegen den Kommunismus“. Als 1999 sein Buch legende erstmals erschien, war der Autor selbst nicht mehr auf dieser Welt. Er starb mit 31 Jahren an AIDS, acht Jahre, bevor sein fast 1000 Seiten umfassendes Hauptwerk, auf das er sein ganzes Leben lang hingedacht hatte, endlich ausgeliefert wurde. Wenig später war es bereits nicht mehr verfügbar. Die Folge: legende wurde zur Legende. Und wer nicht rechtzeitig zugegriffen hatte, musste diesen grandiosen Solitär der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur verpassen und sich mit Gerüchten zufriedengeben. Dies alles ändert sich nun innerhalb weniger Monate. Denn zeitgleich betreiben die Volksbühne und der Berliner Verbrecher Verlag das längst überfällige Comeback der legende. Zweimal große Bühne für einen Text, der sich aufgrund einer überbordenden Vielheit an Erzählformen jeder Gattungszuschreibung entzieht und dessen erster Schauplatz ein Götterhimmel aus den 1980er-Jahren ist. Sehr allein sitzen dort fifi, kafau, stino und tete und verneigen sich voreinander. Sie alle haben eine mehr als irdische Vergangenheit, nun aber sind sie obenauf und blicken hinunter auf eine geteilte Insel namens Berlin. Und da Götter, die sich voreinander verneigen, dies auch mit den Menschen tun müssen, machen sie sich auf den Weg. Ihr Ziel: den Menschen (hüben wie drüben) möglichst viel Gutes bringen, viel Kraft, viel Optimismus, viel Handlungsfähigkeit.
Mit: Sólveig Arnarsdóttir, Rosalie Bergel / Leander Kissiov, Leander Dörr, Sarah Franke, Sebastian Grünewald, Ueli Jäggi, Robert Kuchenbuch, Elisa Plüss, Emma Rönnebeck, Milena Arne Schedle, Katharina Marie Schubert, Sylvana Seddig, Nicolaas van Diepen; Musiker: Chikara Aoshima, Réka Csiszér, Michael Mühlhaus
Regie: Stefan Pucher Bühne: Barbara Ehnes Kostüme: Annabelle Witt Licht: Kevin Sock Musik: Christopher Uhe Video: Rebecca Riedel Dramaturgie: Malte Ubenauf
''Es bleibt eine große Müdigkeit, die 3 1/2 Stunden erscheinen endlos, sie sind in ihrer lustlosen Albernheit zermürbend und nervenaufreibend, dagegen ist jede 7-Stündige Castorf-Inszenierung ein kurzweiliger Spaziergang und ein anregendes, inspirierendes Abenteuer. Einen ohnehin ziemlich flatterhaften Text nach Belieben zu fleddern, ein paar neckische Klassenkampf-Parolen mit ein bisschen klischeehafter Kapitalismus-Kritik anzurühren und das ganze mit lauter Live-Musik aufzupeppen, ergibt noch keinen irgendwie berührenden oder bewegenden, geschweige denn unterhaltsamen oder lehrreichen Theaterabend. Ich habe mich selten so gelangweilt und geärgert, wie über diese völlig überflüssige Inszenierung, die mit Sicherheit keine Legende wird, sondern allenfalls als "legendär schlecht" in die Annalen der Volksbühne eingeht.'' schreibt Frank Dietschreit auf rbbKultur
''Die Vertheaterung von Poesie & Prosa - ein auf deutschsprachigen Bühnen in Mode gekommenes Attackieren originärer Bellestritik - führt nicht etwa dazu, dass die zuschauenden Zuhörer das (theatralisch i.d.R. vollkommen verhunzte) Original, zum besseren Vergleich, selbst lesen; nein, vermutlich werden die Probanten vom gesehenen Gehörten derart abgesättigt oder über- also unterfordert sein, dass sich ihr potenzieller Griff zum "guten Buch" von vornherein erledigt haben wird und sie ihrer fortschreitenden Analphabetisierung aufs Gemütlichste entgegenidiotieren.
Schernikaus legende - ein in seiner strukturellen, sprachlichen Großartigkeit nur noch mit Bibelmaßstäben begreif- und lesbares Werk - taugt nicht zum musikalisch angereicherten Herunterquatschen ihrer selbst; ja und auch wenn sich die Beteiligten der ehrgeizigen Multimedia-Show von gestern Abend redlich Mühe gaben, schienen mir doch ihre ambitionierten Anstrengungen letzten Endes völlig für die Katz'!! Verdammt noch mal - lernt erst mal wieder richtig lesen und vor allem das zu Lesende als eigenständig daseiende Kunst zu akzeptieren, ehe ihr hieraus sinnlos Theater machtet, Punkt.'' schreibt Andre Sokolowski am 12. Dezember 2019 auf KULTURA-EXTRA
Farce trifft Lehrstück und tritt zu oft auf der Stelle
5 Jahre her.
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Kritik
Der berührende End- und Höhepunkt des langen Abends ist das Schluss-Solo von Nicolaas van Dieppen (als Neffe von Ulla), das die AIDS-Krise der 80er und frühen 90er Jahre thematisiert. Die Performance auf der Bühne im schwarzen Abendkleid wird zum Finale von einem kurzen Video-Ausschnitt aus dem Archiv von Schernikau, der auf seiner Couch singt, gedoppelt. Das ist einer der zu seltenen Momente, an dem greif- und spürbar wird, wer Schernikau war und was ihn bewegte.
Insgesamt machte Pucher zu wenig aus dem assoziativ wuchernden Material der Vorlage. Die Inszenierung tritt über weite Strecken auf der Stelle, auch hochkarätige Volksbühnen-Gäste wie Katharina Marie Schubert (als Lydia) oder Ueli Jäggi (als Anton Tattergreis) bringen den Abend nicht in Schwung.
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