Zum Inhalt: Der amerikanische Dichter Allen Ginsberg fotografierte voller Leidenschaft – und so wie bekannte Street Photographer seiner Generation, etwa Lee Friedlander, Garry Winogrand, oder Robert Frank Bilder und Assoziationen ihres für sie sichtbaren Amerikas auf eigene ästhetische Weise sammelten, ist Ginsbergs berühmtes Gedicht Howl voll von einer Masse von Assoziationen, schwer und leicht zu entziffernden privaten und universellen Hinweisen, Momentaufnahmen der Wahrnehmung. Robert Frank veröffentlichte fast zeitgleich zu Howl sein Fotobuch Die Amerikaner und veränderte damit nicht nur den Lauf der Fotografie des 20. Jahrhunderts, sondern ebenso den Blick auf Amerika. Frank schaute, in seinen 1955/1956 aufgenommenen Bildern, unter die Oberfläche des amerikanischen Lebens, porträtierte ein von Rassismus geplagtes Volk, das von seinen Politikern missbilligt wurde und durch eine zunehmende Konsumkultur vollkommen zu erstarren scheint. An den Rändern des amerikanischen Lebens wurde eine neuartige Schönheit sichtbar und Franks intuitiver Stil machte sein Buch zu einem kraftvollen und provokativen Gedicht.
Mit: Hassan Akkouch, Hendrik Arnst, Thorbjörn Björnsson, Paul Brody, Jan Czajkowski, Jill Emerson, Marie Goyette, Silvia Rieger, Sarah Maria Sander, Sir Henry, Theo Trebs, Yuka Yanagihara
Regie: David Marton Bühne: Christian Friedländer Kostüme: Tabea Braun Choreografie: Jill Emerson Licht: Henning Streck Dramaturgie: Peggy Mädler, Henning Nass
Drei Klaviere und ein Cembalo liefern den hypnotisierenden Sound
5 Jahre her.
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Kritik
''Marton zitiert mal Jazz und Blues, ansonsten verzichtet er aber auf die Verbindungen in die amerikanische Musik der 1950er und 60er. Den hypnotisierenden Sound liefern hauptsächlich drei Klaviere und ein Cembalo mit repetitiven Minimal-Music-Motiven barocker Melodien, mathematisch durchkomponiert wie bei Bach, am Ende wird tatsächlich Geistliches gesungen: Pergolesis "Stabat mater".
Doch so musikalisch und ästhetisch einnehmend die Inszenierung ist – die rasende, wütende Gesellschaftskritik, die Ginsberg auf den Asphalt schmettert, ist bei Marton nicht vorhanden. Und das bleibt dann doch eine große Leerstelle bei einem Text von dieser historisch-politischen Schlagkraft.'' schreibt Barbara Behrendt auf rbbKultur
Marthalersche Langsamkeit und alte Castorf-Brüll-Soli
4 Jahre her.
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Kritik
Der Abend beschwört Erinnerungen an die Castorf-Ära mit vielen bekannten Gesichtern der damaligen Zeit herauf. Gleich zu Beginn stakst Sir Henry, der musikalische Zeremonienmeister des Hauses, im aus der Zeit gefallenen Humprey Bogart-Look über die Bühne und schleudert ein vielfaches „Holy“ ins Publikum. Silvia Rieger drischt im Stakkato-Ton auf den „Moloch“ ein. Wie bei Castorf wird viel geplanscht und gerannt, Hendrik Arnst tritt als brüllender, rassistisch übergriffiger Sheriff auf, Thorbjörn Björnsson übergibt sich. Zwischen all den lange bekannten Namen tauchen nur wenige Spieler*innen auf, die erst nach dem Bruch und Dercon-Intermezzo ans Haus gekommen sind. Zu ihnen gehören Theo Trebs, der als erotische Projektionsfläche im Matrosen-Kostüm zwischen den Figuren wandelt, oder Sarah Maria Sander in stummen Posen.
In seiner schlurfigen, skurrilen, sich in zahlreichen Anspielungen verlierenden Musiktheaterhaftigkeit tritt die „Howl“-Inszenierung von David Marton zu oft auf der Stelle und bleibt vor allem in den Fußstapfen seines Mentors Christoph Marthaler stecken.
Sehr epigonal, aber auch sehr beliebig wirkt dieser Abend, der sich zäh dahinschleppt und wenig mehr als eine konzertante Fingerübung ist, deren Wirkung trotz des Wohlklangs schnell verpufft.
Komplette Kritik mit Bildern
''Die Musik, die Marton für seine Inszenierung ausgewählt hat, enthält aber nicht nur Elemente des Jazz, sondern vorrangig mixt er Barock-Musik zu modernen treibenden Arrangements mit vier Klavieren, Bläsern, Bass und Drums. Nachdem Volksbühnenschauspielerin Sylvia Rieger mit einer Kaffee-Mühle die Drehbühne zum Laufen gebracht hat, wuselt das Ensemble wie im Drogenrausch in den Kulissen umher und die Figuren wie etwa ein Matrose (Theo Trebs), ein Beatnik in Lederjacke (Jan Czajkowski) oder schillernde bis düstere Frauengestalten (Jill Emerson, Marie Goyette, Sarah Maria Sander, Yuka Yanagihara) fügen sich immer wieder zu vielen kleinen Szenen zusammen. Thorbjörn Björnsson bearbeitet die Drums und geriert sich wie ein verstörter Geisteskranker, Castorf-Mime Hendrik Arnst poltert als Polizist umher und maßregelt die Hipster mit rassistischen Sprüchen.
Ein zweiter Part aus Howl handelt von der Irrenanstalt Rockland, in der Carl Solomon, dem Ginsberg das Gedicht widmete, einsaß. „I’m with you in Rockland“ lautet hier die wiederkehrende Beschwörungsformel. Sylvia Rieger darf dann noch lauthals den „Moloch“ beschreien. Eine Anklage gegen die Großstadt und das herrschende Kapital als „Sphinx aus Zement und Aluminium“. Mehr hat Marton mit dem Text von Allen Ginsberg nicht im Sinn. Es bleibt beim assoziativen Bilder- und Musiktheater, das mehr kunstvoll choreografierte Performance ist, als erklärende Interpretation oder politisches Statement. Trotzdem ist Marton damit dicht dran am Stoff. Musikalisch entfernt er sich aber aus der Zeit der Beatniks zurück ins Zeitalter des Barock. Vor allem gesanglich ist das ein Genuss, der mit einem vielstimmigen zum Teil etwas schrägen Lacrimosa aus Giovanni Battista Pergolesis Stabat Mater gekrönt wird. Doch schon nach 80 Minuten ist dieser etwas melancholische Bilderreigen wieder vorbei und in unserer schnelllebigen Zeit auch sicher bald vergessen.'' schreibt Stefan Bock am 23. November 2019 auf KULTURA-EXTRA