Zum Inhalt: Germania. Die Geburt einer Nation aus dem Geiste des Krieges. Zwei Stücke. Germania Tod in Berlin und Germania 3. Zweimal Müller. Die Beschäftigung mit dem Germaniakomplex zieht sich durch Heiner Müllers Leben. Das erste Stück beginnt er im Jahr des XX. Pateitages der KPdSU 1956. Der Volksaufstand vom 17. Juni ist drei Jahre zuvor noch von Stalins Panzern niedergeschlagen worden. Jetzt lässt die Abrechnung Chruschtschows mit den Verbrechen Stalins hoffen. Germania Tod in Berlin kann aber erst 1989 in der DDR aufgeführt werden. Germania 3 schreibt Heiner Müller von 1990 bis 1995, also nach dem Ende der DDR, nach Wende und Mauerfall.
Mit: Malick Bauer, Katja Gaudard, Sebastian Grünewald, Peter Jordan, Amal Keller, Paula Kober, Mathis Reinhardt und Emma Rönnebeck; sowie Sebastian Ryser, Lina Mareike Wolfram, Zenghao Yang (Puppenspieler*innen), Friederike Harmsen, Rowan Hellier, Narine Yeghiyan (Sängerinnen), Chor, Mark Scheibe und Orchester
Regie: Claudia Bauer Bühne: Andreas Auerbach Kostüme: Patricia Talacko Licht: Hans-Hermann Schulze Musik: Mark Scheibe Korrepetition: Hans-Jürgen Osmers Video: Rebecca Riedel Dramaturgie: Stephan Wetzel
''Mit ungeizigem Aufwand steuerte nunmehr die Volksbühne Berlin ihr Müller'sches Geburtstagsständchen bei. Die optisch wie akustisch ausufernde Eigenproduktion - das Allerbeste und Gelungenste an ihr ihre Quasi-Veroperung durch klassisch ambitionierte und von Dirigent Mark Scheibe komponierte Live-Musik, gespielt von einem auf der Drehbühne positionierten Live-Orchester, gesungen von einem Live-Herrenchor und den drei hochvorzüglich ihrer Rheintöchter- und Nornenrolle gerecht werdenden Opernsängerinnen Friederike Harmsen, Rowan Hellier & Narine Yeghiyan (!!!) - schien weit mehr als voll aufs Ganze gehen zu wollen.
Zusammenfassend tat sich dieser Kraftakt allerdings mehr oder weniger als regieeller Selbstverwirklungszwang Claudia Bauers wirkungsvoll entpuppen, und ihr handwerklicher Ansatz hatte willkürlich Beliebiges. Die Regisseurin griff in diese oder jene Kiste, und von Müllers ursächlichen Stück-Dramaturgien war infolge dessen wenig oder nichts Vernünftiges mehr nachzuprüfen oder wiederzuerkennen; dass das henschelSCHAUSPIEL derart durchgeh'n ließ, verwunderte dann schon. Auch kam die Bauer über eine nahezu 90-prozentige (ja und selbstredend viel, viel "schlechter" daher kommende) Castorf-Kopiererei mit dessen hinlänglich bekannten und erprobten Videofizierungsmitteln nicht hinaus.'' schreibt Andre Sokolowski am 1. November 2019 auf KULTURA-EXTRA
''30 Jahre nach dem Mauerfall, bei erstarkendem Rechtsradikalismus, ist die Frage, welches Deutschlandbild uns heute prägt, essentiell. Umso enttäuschender, wie wenig sich der Abend bei allem Bombast dafür interessiert.
Müller hatte stets die Heroisierung der deutschen Geschichte vor Augen, die Nibelungen, den Preußenkönig. Diese Helden vom Thron zu stoßen war Provokation. Im Internetzeitalter werden viele Zuschauer die "Varusschlacht" allerdings erst einmal googeln müssen. Es gibt keine Heroen mehr vom Thron zu stoßen. Das Geschichtsbewusstsein fehlt, um die Anspielungen einordnen zu können – und Claudia Bauer setzt allein auf Bilderflut statt auf Interpretation und Analyse.
Am rechten Rand aber, wo die Heroisierung längst wieder begonnen hat, wird diese Monstershow ebenfalls wenig bewirken – dafür verunsichert sie zu wenig. Für die nationalistische Seite sowie die geschichtsvergessene gilt: Mit szenischem Overkill kommt man im Theater heute nicht mehr weit.'' schreibt Barbara Behrendt auf rbbKultur
Langatmige Geschichtsrevue mit schönen Puppenspiel-Einlagen
5 Jahre her.
The review are waiting to approve.
Kritik
Mit einer kurzen Pause schleppt sich diese Geschichts-Revue mit mäßigem Unterhaltungswert und geringem Erkenntnisgewinn drei Stunden dahin. Claudia Bauer, die vor einem Jahr als Favoritin für die zukünftige Volksbühnen-Intendanz gehandelt wurde, enttäuscht bei dieser zu langatmigen Arbeit. Seltene Lichtblicke eines dramatugisch holprigen und inhaltlich beliebigen Comic-Abends sind die beiden Szenen, bei denen Puppenspiel-Student*innen der HfS Ernst Busch ihr Können zeigen dürfen. Die kurzen Passagen im Kessel von Stalingrad in der ersten Hälfte und das Gespräch von Walter Ulbricht und Ernst Thälmann über den Mauerbau in der zweiten Hälfte sind nicht nur Schlüsselstellen in Heiner Müllers Text, sondern auch die raren überzeugenden Momente eines zu langen Abends.
Besonders schade ist, dass eine Andeutung aus dem Programmheft nicht eingelöst wurde. Mich ließ aufhorchen, dass in der dort abgedruckten Chronologie der geschichtlichen Ereignisse seit Tacitus und Arminius auch die peinlichen Altherren-Witze von Ex-Volksbühnen-Chef Frank Castorf aus einem SZ-Interview über die Frauen-Fußball-WM auftauchen. Würde es Claudia Bauer tatsächlich wagen, die Sprüche des Hausgotts aufs Korn zu nehmen? Leider Fehlanzeige!
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