Zum Inhalt: In ihrem neuen Projekt in Koproduktion mit der Volksbühne Berlin beschäftigt sich Sasha Waltz mit einer Gesellschaft, der in den Kulissen ihres perfekten Lebensraumes die Welt abhanden gekommen ist. Durch bodenlose Zustände steuert die Choreografie mit 12 Tänzer*innen in einen Enthüllungsprozess. Lichtdesigner David Finn, der mit Sasha Waltz v. a. in ihren großen Opernproduktionen zusammenarbeitete, bespielt eine vollkommen weiße Bühne mit seinen lebendigen Lichtsphären. Das Kostümbild gestaltet Bernd Skodzig, dessen Kreationen Sasha Waltz’ choreografisches Schaffen seit vielen Jahren begleiten.
''Ich habe diesmal kaum etwas von dem verstanden, was mir Waltz mit ihrem rauschen hätte sagen wollen! Daher kann ich auch bloß Punktuelles aus der optischen, akustischen Erinnerung - und eingestandner Maßen ohne jeglichen Zusammenhang - benennen:
Blenard Azizaj, Davide Camplani, Clémentine Deluy, Edivaldo Ernesto, Hwanhee Hwang, Lorena Justribó Manion, Annapaola Leso, Zaratiana Randrianantenaina, Aladino Rivera Blanca, László Sandig, Yael Schnell und Stylianos Tsatsos okkupieren peu à peu das leere weiße Bühnenrund und geben sich in ihm als, wegen ihrer eckigen Bewegungen derart "erkennbare", Humanoide. Die Mutanten könnten einen pseudozivilisatorischen Rest-Rest infolge eines (klimabedingt gewesenen?) Menschheitsverschwindens personifizieren. Ihr roboterartiges Geplapper, meist auf Englisch, tut zumindest auf ein rudimentäres Nochvorhandensein von Kommunikation und Sprache hin verweisen... (...)
Der verübte Jubel der Premierengäste - so wie meistens, wenn es zusätzlich noch lauter und noch deutlicher aus Höhe eines Fanblock schallte - war unmissverständlich groß; man hält im Allgemeinen halt an (s)einer Lieblingsmarke fest. Auf meinem Heimweg konstatierte ich allein für mich: rauschen war hohl und seelenlos.'' schreibt Andre Sokolowski am 8. März 2019 auf KULTURA-EXTRA
Wie Roboter zucken die Tänzer*innen in den ersten Szenen von „rauschen“, der mit Spannung erwarteten Choreographie von Sasha Waltz an der Volksbühne. Sie zeichnet das dystopische Bild von vereinzelten Individuen, die nicht mehr miteinander in Kontakt treten können. Die Satzfetzen klingen blechern wie bei Siri. Störgeräusche aus dem Großstadtlärm sorgen für ein beunruhigendes Hintergrundrauschen.
Das Eröffnungsbild kontrastiert Waltz mit der weihevoll-archaischen Stimmung ihres Schlussbildes: eine Gemeinschaft halbnackter Tänzer*innen zelebriert den Weg zurück zur Natur und ein Leben in Harmonie.
Zwischen diesen beiden Polen entwickelte Waltz eine Choreographie, die zwar mit tollen Kostümen (Bernd Skodzig) und raffinierten Lichteffekten (David Finn) aufwartet, ganz so, wie wir es von Sasha Waltz gewohnt sind. Dennoch wird ihr neuer Abend kein so rauschhaftes Glückserlebnis wie ihre letzte Arbeit „Exodos“ im vergangenen Sommer.
Ihre Digitalisierungs-Dystopie bleibt ähnlich wie der Versuch von Kay Voges, die „Parallelwelt“ auszuloten, zu sehr papierne Kopfgeburt. Immer wieder gelingen Waltz auch an diesem Abend eindrucksvolle Bilder, aber insgesamt wirken die Szenen zu beliebig.
Untermalt von „Beatles“-Songs zieht sich vor allem die erste Hälfte der zwei Stunden zu sehr in die Länge, bevor sich Waltz im Schlussteil auf ihre Stärken besinnt: die Szenen wirken nun stringenter und ausgefeilter, der Abend wird nicht nur optimistischer, sondern auch witziger.
Leider endet „rauschen“ etwas unvermittelt mit der plakativen Schwarz-Weiß-Gegenüberstellung von Dystopie und Sehnsucht nach einem archaischen Idyll. Aus der Reibung zwischen diesen beiden Polen hätte noch ein interessanterer, weniger plakativer Spannungsbogen entstehen können.
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''Sasha Waltz ist bei dieser Choreographie ihrer Sucht nach schönen Bildern erlegen. Kostüme, Licht, Bühne sind wunderschön erlesen, phantasievoll und überraschend, einmal werfen die Körper der Tänzer rote Schatten, ein toller Effekt. Aber es bleibt bei Effekten und Bildern, bei einem weißen und einem schwarzen Akt und einem rätselhaften Zwischenspiel – ein klares, stringentes Konzept fehlt.
Der gut zweistündige Abend hat deutliche Überlängen, müsste gerafft, gestrafft, gekürzt werden, die Dramaturgie ist inhaltlich und szenisch unklar und es fehlt leider wieder der früher so wunderbare Sasha-Waltz-Humor, der Witz, die kuriosen Überraschungen - ein bisschen Sarkasmus und einige Lieder von den Beatles als Auflockerung des ernsten Ganzen reichen nicht. Wenn Sasha Waltz mit Beginn der neuen Spielzeit ganz ans Berliner Staatsballett wechselt und dann pro Saison einmal für ihre eigene Compagnie und einmal für das Staatsballett neue Stücke kreiert, muss deutlich mehr von ihr kommen als so ein schaurig-schöner postromantischer Bilderreigen im edlen Design.
Frank Schmid über "rauschen", die neue Choreographie von Sasha Waltz. Heute Abend noch einmal an der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz zu sehen. Allerdings ist die Vorstellung ausverkauft. Ende April gibt es dann noch einmal vier Vorstellungen.'' schreibt Frank Schmid auf kulturradio.de