Kritik
[u]Der Nazi und der Friseur[/u]
Als Max Schulz 1907 im schlesischen Wieshalle das Licht der Welt erblickte, da trennten ihn nur wenige Minuten und doch eine ganze Welt von Itzig Finkelstein. Max ist das einzige Kind, das uneheliche Kind einer etwas liderlichen jungen Mutter, die sich nicht vollkommen sicher ist, wer ihrer Verehrer denn nun der Vater ist. Unangenehmerweise fällt diese Aufgabe dann an den cholerischen Säufer Anton Slavitzki, der mehr schlecht als recht einen Friseurladen führt. Itzig Finkelstein dagegen ist der geliebte Sohn der jüdischen Nachbarsfamilie, stolz inseriert sein Vater die Nachricht von seiner Geburt. Chaim Finkelstein ist der Besitzer des florierenden Friseursalons „Der Mann von Welt“, sehr zu Slavitzkis‘ Verdruss, direkt gegenüber. Zwischen Max und Itzig entsteht trotz aller Unterschiede eine tiefe Freundschaft. Max ist nicht nur häufig zu Gast im Haus der Finkelsteins, er geht auch mit in die Synagoge, lernt jiddisch sprechen und schreiben.
[u]Die mit den Würgehänden, die noch niemals würgen durften[/u]
1933 sind Max und Itzig bei Chaim Finkelstein in die Lehre gegangen und Friseure geworden. Adolf Hitler kommt im selben Jahr ins winzige Wieshalle und predigt auf dem Ölberg zu den gierig Lauschenden. Von da an verändert sich das Leben der beiden jungen Männer grundlegend. Max geht zunächst zur SA und schließlich zur SS. In Polen ist er an Säuberungsaktionen beteiligt, schließlich wird er in das Konzentrationslager Laubwalde beordert, in dem er später auch seine ehemaligen guten Freunde, die Finkelsteins, eigenhändig tötet.
[u]Auf der Exitus ins Heilige Land[/u]
Auf abenteuerlichen Wegen kommt es bei Zusammenbruch des 3. Reiches dazu, dass Max Schulz der einzige überlebende SS-Mann des KZs ist. Sein Aussehen und die Tatsache, dass er jiddisch spricht, führen dazu, dass er für einen jüdischen Überlebenden gehalten wird und natürlich widerspricht er der Annahme nicht. Er lässt sich fröhlich auf der Welle des Philosemitismus treiben und landet schließlich gar auf einem Auswandererschiff gen Palästina. Der Massenmörder Max Schulz wird zum Juden. Er heiratet, er eröffnet einen Friseursalon. Stolz inseriert er schließlich auch die Geburt seines Sohnes…
Auf der Vaganten Bühne spielen in einem furiosen, schweißtreibenden Kraftakt Oliver Dupont und Andreas Klopp alle Rollen des Abends, nur ausgestattet mit vielen, vielen Kämmen. Die Kämme machen ordentlich, machen glatt, zeigen Veränderung an, machen zum Nazi, mit Butterbrotpapier werden sie zum Nachrichtensprecher, sie können auch Musik. In ihrer Vielseitigkeit werden die Kämme eigentlich nur von den beiden Schauspielern übertroffen. Eine verstörendes, Angst machendes Stück, das doch wie eine Schelmengeschichte daher kommt, mit einem lapidaren Max Schulz, der sein Leben und seine Gräueltaten schildert wie einen Einkauf auf dem Großmarkt. Die Groteske von Edgar Hilsenrath, 1971 erschienen, zunächst im Ausland erfolgreich, erst 1977 dann auch in Deutschland, besticht und erschrickt durch ihren kühl-lakonischen Ton gleichermaßen.