Kritik
Es ist eine in jeder Hinsicht haarsträubende Geschichte, die hier in der Berliner Vagantenbühne von zwei Vollblut-Verwandlungskünstlern dargeboten wird. Lieferant der Fabel ist der amerikanische Schauspieler und Dramatiker Charles Ludlam, der von 1943 bis 1987 vor allem in New York lebte. Die deutsche Übersetzung stammt von Frank Günther. Regisseur der Aufführung ist Jan Bolender, die Ausstattung besorgte Marcel Teske. Das Bühnenbild besteht einfach aus einem quadratischen Drahtkäfig, dessen Boden mit einer Auswahl drolliger Kuscheltiere bedeckt ist. In die Rückwand eingehakt sind verschiedene Regalelemente, die gleichfalls mit ein paar Kuscheltieren bestückt sind. Ach ja, und in einem Fall mit einem Jugendbildnis der titelgebenden Irma Vep.
Lord Edgar Hillcrest ist Ägyptologe und Besitzer des Guts Mandacrest. Nach dem Tode seiner geliebten Frau Irma Vep hat er die Schauspielerin Enid Hillcrest geehelicht. Dann gibt es auf dem Gut noch die Haushälterin Jane Twisden und den Stallknecht Nicodemus Underwood, die zunächst die Handlung beherrschen. Damit nicht genug: Anika Lehmann und Thomas Bartholomäus schlüpfen an diesem Abend in die Gewänder von jeweils vier verschiedenen Figuren, und sie tun das mit derart perfektem Timing, dass ihre Verwandlungen nahtlos aneinander anschließen.
Aus der ersten Begegnung von Jane und Nicodemus entwickelt sich nun eine flott voranschreitende Story, die ziemlich genau dem schmalen Grat zwischen Satire und Klamotte folgt. Die etwas unheimliche Atmosphäre auf Gut Mandacrest verbreitet sich mit Augenzwinkern über die Szene, und die ersten Verwandlungen der beiden Schauspieler belegen schon ihr souveränes Können in der Typisierung der jeweiligen Figuren. Neben dem Ableben der Irma Vep gibt auch der Tod des kleinen Sohnes Rätsel auf. Verschwörungstheorien lösen einander ab, eine abstruser als die andere, und auch vom Wüten eines Werwolfs sowie von blutsaugenden Vampiren ist die Rede.
Als verschiedene Alternativen auf dem Gut durchgespielt sind und sowohl Anika Lehmann als Lord Edgar wie Thomas Bartholomäus mit Perücke als Lady Enid ihre Wandlungsfähigkeit demonstriert haben, bricht der ägyptologische Lord zu einer Expedition ins Land der Pharaonen auf, was der Handlung einen originellen Schub verleiht. Daran knüpft sich wieder eine ganze Serie von skurrilen Situationen und überraschenden Wendungen. Schließlich manifestiert sich sogar der Geist der verblichenen Irma Vep, und in einer turbulenten Szenenfolge gelingt den beiden Akteuren ein fabelhafter Sprint in Zeitlupe.
Das verträumte Ende der Gruselkomödie soll hier nicht verraten werden. Das Publikum ist jedenfalls mit der Aufführung hochzufrieden und spendet animierten Jubel in allen heutzutage üblichen Tonlagen und Lautstärken.
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