Zum Inhalt: Hilfe! Hilfe! Ach so, Finanzhilfe! Darauf ein Chopin-Prelude. Und der Kongress-Dozent hatte im übrigen eine eklige Narbe am Kinn. Am fein eingedeckten Tisch, umgarnt von Servierpersonal, debattiert eine seltsame Dinnergesellschaft. Zu perlenden Klavierklängen gibt es ungepflegte Konversation zu den richtigen Themen. Alles in komplett falschem Timing. Im Setting bürgerlichen Daseins mit all seinen Schrecklichkeiten agieren Menschen, die klassische Rollenmodelle auf keinen Fall erfüllen können. Sie sitzen im Rollstuhl oder sind beim Parlieren auf Hilfe angewiesen. Macht sie die eigene Unkonventionalität immun gegenüber dem Krampf der Norm? Oder gibt es beim Bad im Drachenblut der Spastik Lücken in der Schutzhülle, durch die ein Bemühen, sich anpassen zu wollen, passen zu wollen und nicht unpassend aufzufallen doch Eingang findet? Ein traumhaft abgründiges Gesellschafts-Impromptu, das lustvoll Konventionen vom Silbertablett stößt.
Mit: Nico Altmann, Martin Clausen, Ingo Joers, Alexander Lange, André Nittel, Mereika Schulz, Moritz Welz | am Klavier: Santiago Blaum
Regie: Martin Clausen Bühne: Isolde Wittke Kostüme: Heike Braitmayer Lichtdesign: Benjamin Schälike Künstlerische Beratung und Video: Wolfram Deutschmann
''Eine Geschichte erzählt das Stück nicht. Clausen kommt aus einer Theatertradition, die Eindeutigkeit ablehnt. Er spielte lange bei Nico & the Navigators und hat inzwischen seine eigene Gruppe "Martin Clausen & Kollegen". Zu seinen Markenzeichen gehören Theaterbilder, die an Alltagssituationen erinnern, aber einen leichten Twist haben, so dass man sie nicht 1:1 nehmen kann. Hier ist es die Restaurantsituation. Da wird erst sehr vornehm der Tisch gedeckt – Martin Clausen spielt selbst einen der Kellner, der akurat die Bestecks ausrichtet und die Gläser der Größe nach ordnet – und dann kommen André Nittel und seine Begleiter, die sich um die Etikette nicht scheren. Sie fassen alles an, drehen die Teller um und schwatzen fröhlich daher – ganz ohne roten Faden. Sie reden über ihre Geburt und darüber, wie es wäre, zum Mars zu fliegen. Und je länger der Abend läuft, desto mehr schimmern die Persönlichkeiten der Spieler durch. (..)
Filmeinblendungen bringen zudem eine historische Perspektive ins Spiel. Martin Clausen hat Dokumentaraufnahmen von einer Festveranstaltung 1981 in Dortmund zwischen die Theaterszenen montiert, bei der die Behindertenhilfe gefeiert werden sollte. Der damalige Bundespräsident Karl Carstens sollte reden, aber er kam nicht dazu, weil Behinderte die Bühne stürmten und riefen "Nicht mit uns! Hier wird nur über uns gesprochen, aber nicht mit uns!" – Und in dieser Tradition steht auch das Theaterstück. Die Akteure auf der Bühne wollen nicht einfach nur Objekt sein, über das geredet wird, sie wollen den Diskurs selbst mit bestimmen.'' schreibt Oliver Kranz auf kulturradio.de