Kritik
Sturm und Drang
Es geschieht wahrlich stürmisch: der junge Werther, von Kindesbeinen an gut mit Nachbarin und Klassenkameradin Wilhelmine befreundet, verliebt sich in Lotte. Lotte ist ebenfalls in ihrer Schule und gut mit Wilhelmine befreundet. Sie hält den Werther erst einmal für etwas seltsam, aber im Laufe eines Sommers werden die drei jungen Leute zu einem Trio und genießen das Wetter, den See und die Freiheit. Sechs Wochen Ferien erscheinen unendlich lang!
Und dann kam… Albert
Aber eins scheint Werther zu verdrängen und auch bei Lotte gerät es im Überschwang ihrer neuen Freundschaft zu Werther ein wenig in den Hintergrund: am Ende der sechs Wochen beginnt nicht nur wieder die Schule, sondern ihr Freund Albert kommt auch aus Paris wieder. Und Lotte möchte dann weiterhin mit Albert zusammen sein. Bloß scheint Werther das nicht wirklich zu verstehen. Alles was Lotte im Laufe dieses Sommers gesagt und getan hat, sind für ihn Zeichen, dass sie ihn genauso liebt wie er sie.
Die Leiden der jungen Lotte
Für Lotte ist der Übergang von Freundschaft zu ungewollt heftigen Gefühlen so fließend, das sie es kaum merkt. Irgendwann und irgendwie werden aus allnächtlichen „Gute Nacht“- Nachrichten hunderte Nachrichten am Tag. Und sie, die einem Freund einfach nur nicht weh tun wollte, wird plötzlich überschwemmt von etwas, dass sie in dieser Intensität nicht hat kommen sehen. Was für sie eine Freundschaft mit vielen gleichen Interessen war, ist für ihn die ewige Liebe. Aber hat sie ihm wirklich Zeichen gegeben? Hat sie nicht laut genug Nein gerufen, die Grenzen nicht deutlich sichtbar abgesteckt? Ist sie gar mitschuldig?
Wann ist Romantik eigentlich romantisch?
Ganz am Anfang erzählt Wilhelmine ihrer Freundin Lotte, wie unheimlich verliebt sie einstmals in Werther war. Sie ist sogar in sein Zimmer geschlichen und hat sich in sein Bett gelegt. Superpeinlich, als er sie dabei erwischte. Eine Weile konnte sie ihm nicht in die Augen sehen, aber dann waren sie wieder Freunde. Witzige Geschichte, findet Lotte. Aber würde sie das wohl auch noch sagen, nachdem sie Werther uneingeladen in ihrem Zimmer findet? Der sie dann auch noch bedrängt, bis sie erschrocken flüchtet? Wann ist es eigentlich romantisch, wenn man „nicht-aufgibt“, wenn man „kämpft“ und „nichts-unversucht-lässt“ und wann ist das ungewollte, übergriffige Aufmerksamkeit und kein bißchen romantisch? Die Sozialen Medien machen es umso leichter für uns, unser Objekt der Begierde genau zu beobachten. Jetzt gilt es auch Gepostetes, getwittertes und Geliketes zu interpretieren. Alles könnte ein Zeichen sein!
Werther ( Amos Detscher ), Wilhelmine ( Natascha Manthe ), Lotte ( Olivia Stutz ) und Albert ( Justus Verdenhalven ) bringen für uns [i]Die Leiden des jungen Werther[/i] in die heutige Zeit. Aus seiner Geschichte und seiner Stimme wird die Geschichte von vier jungen Leute und vor allem von Lotte und Werther. Lotte kann und will auch endlich mal was sagen! Und was sie erlebt und was sie sagt, das birgt sehr viel Diskussionsstoff.
In Zusammenarbeit mit
Stop-Stalking ist Regisseurin Inda Buschmann ein topaktuelles Stück gelungen, bei dem die spielfreudigen jungen Schauspieler viele, viele Fragen aufwerfen und mit der ein deutscher Klassiker ordentlich durcheinandergewirbelt wird. Unbedingt mit Kindern, Neffen, Nichten und überhaupt jedem anschauen!
Ab 14, etwa 105 Minuten mit Pause.
©Nicole Haarhoff