Kritik
''Wahrscheinlich (höchstwahrscheinlich) ausschließlich "nur" wegen Anita Rachvelishvili, die als Carmen seit geraumer Zeit die größten Opernhäuser auf dem Globus okkupiert, hatte sich Daniel Barenboim entschlossen, auf die Martin Kušej-Inszenierung von vor 16 Jahren kurzerhand zurückzugreifen. Ja und was man gestern Abend - anlässlich der Wiederaufnahme - von ihr so sah und hörte, muss daher wohl als verdachtsbestätigend betrachtet sein. Nein, besser geht es bei der Carmen höchstwahrscheinlich (allerhöchstwahrscheinlichst) nicht - und ehe wir die anderen drei Powerfrauen wegen unserer dann eigentlich unteilbaren Begeisterung für Rachvelishvili aus unserem Bewusstseinskranz verlieren, hier noch schnell ihre drei Namen: Christiane Karg (als Micaëla), Serena Sánez (als Mercédès), Alyona Abramova (als Frasquita), ja auch diese Drei also: dreifach exzeptionell!!!
Die in Tiflis geborene Georgierin konnte ich schon mal, allerdings nur kurz, in Alexander Newsky von Prokofjew, wo sie "Totenfeld" (Satz 6) zum Besten gab, vor einem Jahr erleben; und da war mir vollends klar, zu welcher Suggestionsarbeit Rachvelishvili fähig ist. Entwaffnendes Kalkül mit einem raumgreifenden Alt, welcher sowohl "nach oben" wie "nach unten" exzessiert. Laut Einführungsvortrag hätte sie in 2010 die Rolle in der Kušej-Inszenierung bereits durchgespielt, sie war und ist also mit dieser Produktion vertraut - die hob angeblich auf stark sinnbeeinträchtigende Wüsten- und Hitzeeinflüsse noch viel, viel weiter südlich als in Andalusien ab; man schwitzt und hechelt, und man(n) steht womöglich ganz besonders unter einem ganz besonders starken sexuellen Druck, ein paar gut aussehende (halbnackte) Statisten demonstrieren dann auch das erotisch aufgeladene Gesamtgefühl des anwesenden Carmen-Personals, bestehend aus Soldaten, Schmugglern und geschlechtsaktwilligen Zigarettenarbeiterinnen. Rachvelishvili freilich braucht so tierisch Aufgesetztes von Regie wegen mitnichten, schon ihre aus sich heraus knisternde Individualpräsenz machte/macht klar, wer hier über dreieinhalb Stunden lang der wahre Herr im Hause ist! '' schreibt
Andre Sokolowski am 8. März 2020 auf
KULTURA-EXTRA