QUÉ BOLERO O EN TIEMPOS DE INSEGURIDAD NACIONAL COLECTIVO MALASANGRE
Premiere: 3. Mai 2022 Aix En Provence (Centre Choregraphique National Pavillon Noir) Berlin-Premiere: 9. Januar 2024 (Tanztage Berlin) Sophiensaele Berlin
Zum Inhalt: Was bedeutet es heute, Teil einer Nation und ihres Volkes zu sein? Das Colectivo Malasangre fordert zeitgenössische Formen des kulturellen Kolonialismus mit Kraft, Präzision und Glitzer heraus. Lazaro Benitez, Luis Carricaburu und Ricardo Sarmiento wurden in den 90er Jahren in Kuba geboren, in der Zeit zwischen dem Zusammenbruch des Sozialismus und einer Wirtschaftskrise. Wie viele ihrer Generation, verließen sie Kuba, um sich in Europa niederzulassen. In Qué Bolero o En Tiempos de Inseguridad Nacional beschwören sie die Gesten der kubanischen Populärkultur, die sie ausmachen: die Gesten der Nächte von Havanna, der Congas von Santiago de Cuba oder des Karnevals. Einer provisorischen Kulisse, die von Prekarität und Migration, von Exil und Revolte erzählt, stellen sie ein emblematisches Werk westlicher Kultur gegenüber: Ravels Boléro. Die Körper der drei Künstler*innen dringen in den Boléro ein „wie ein tropischer Hurrikan” in einer Performance, die einen schelmischen, schrägen Blick auf den „nationalen Körper” wirft, der seine Bedeutung im Begriff der Mestizaje findet.
Choreografie, Performance: Lazaro Benitez, Luis Carricaburu, Ricardo Sarmiento
Bühnenbild: John Deneuve and Colectivo Malasangre Lichtdesign: Anaïs Silmar Musik: Boléro de Ravel von WDR Sinfonieorchester Orquesta del Cabaret Tropicana, Esta Casa von Elena Burke, Pavane pour une infante défunte von Maurice Ravel Kostüm: Colectivo Malasangre, Leo Peralta Residenzen: Ballet Preljocaj/Pavillon Noir – CCN d’Aix-en-Provence, Montévidéo – Centre d’art, La Zouze/Cie. Christophe Haleb, CCN Ballet du Nord, Pôle 164 Prêt de studio KLAP Maison pour la danse Diffusion: Lazaro Benitez
''Beim ersten räumte Lazaro als einen abenteuerlichen Kopfschmuck tragendes als wie bein- und arschzeigendes Super-Showgirl ab, und Luis musste ihn zum Schluss hochstemmen; es sah aus, als wäre es aus einer TV-Tanzshow abgekupfert, und ständig wiederholte der ewig sein Zahnweiß bleckende Star die Kurzformel vom "national Body". Das kam beim Publikum gut an.
Den Ravel'schen Bolero (kennt ja jeder!) absolvierten sie - diesmal als drei Migranten irgendwo im südlichen Europa - im kollektiven "Eintanz". Als erster steckte sich Ricardo seine kabellosen Kopfhörer in seine Ohren und programmierte sein Smartphone, dann taten es ihm die zwei andern nach; und man ahnte, dass sie sich wahrscheinlich nach was völlig anderem bewegten als nach dem Bolero. Der inflationierenden Ausgelassenheit ihrer Temperamente tat das keinen Abbruch - im Gegenteil. Es steigerte sich ungemein, und letztlich tanzten sie bis zur Totalerschöpfung und fast nackt.
Französische Kompositionskunst trifft auf Latino-Machismo
8 Monate her.
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Kritik
Kurz nach dem Festival-Eröffnungswochenende heizte das exilkubanische „Colectivo Malasangre“ mit Qué Bolero o En Tiempos de Inseguridad Nacional im Berliner Winter ein. Das war anfangs nicht zu vermuten: Betont unterspannt tasten sie sich heran, lange plätschert die Performance etwas ziellos vor sich hin. Latino-Karneval-Motive werden anzitiert und der Anführer des Trios gibt auf halber Strecke schließlich den Richtungswechsel vor: als schillernd-exaltierte Diva tänzelt er durch den Rest des Abends.
Irgendwann kommt man dann schließlich zum titelgebenden „Bolero“: einer der berühmtesten Repertoire-Klassiker der westlichen Moderne trifft auf eine laszive Workout-Performance des Trios Lazaro Benitez, Luis Carricaburu und Ricardo Sarmiento. Alle drei sind in den 1990ern auf Kuba geboren, das sich auch nach dem Zusammenbruch des Warschauer Pakts weiter abschottete. Sie gingen nach Europa und kontrastieren das Meisterwerk französischer Kompositionskunst mit klischeehaften Gesten und Posen von lateinamerikanischem Machismo in Unter- und Reizwäsche. Das Spektakel mündet in einen Aufruf zur Freilassung politischer Gefangener auf der Karibik-Insel.