Es war ein weiter Weg von der frühen Faszinationskraft jener Automatenwesen in Menschengestalt nach Art von „Coppélia“ oder „Hoffmanns Erzählungen“ bis zur leicht schaurig angehauchten Attraktivität des Begriffes „Künstliche Intelligenz“ in unseren Tagen. Gerade mal ein Jahr alt ist das Stück „Fehler im System“, das Folke Braband bearbeitet und jetzt als Regisseur im Berlin-Steglitzer Schloßpark-Theater zur deutschen Erstaufführung gebracht hat. Dabei geht es nicht, wie man vielleicht anhand des Titels argwöhnen könnte, um eine Mängelrüge an Schwächen unseres Systems der parlamentarischen Demokratie. Stattdessen liegt der Angelpunkt mehr im Vordergründig-Hintergründigen. Eine gewisse Duldsamkeit gegenüber Science-Fiction-Stories erleichtert dabei den Zugang und das ungetrübte Vergnügen. Weitere Vorkenntnisse sind aber nicht erforderlich.
Das Verhältnis von Menschen zu Maschinen macht inzwischen ein eigenes Literaturgenre aus. Seit sich diese Beziehung nicht mehr auf mechanische Analogien beschränkt, sondern durch die Fortschritte der Computertechnik immer pseudo-humanoider wurde, fragt sich der Fantasiebegabte natürlich, wohin diese Entwicklung noch führen kann und wo möglicherweise ihre Grenzen sind.
Aus diesem komplexen Stoff, der voller Fußangeln steckt, eine funktionierende Komödie zu machen, ist eine Aufgabe, die Intelligenz und Feingefühl erfordert. Folke Braband ist dies dadurch gelungen, dass er eine Handvoll lebensnaher Typen konstruiert und sie mit treffend ausgesuchten Schauspielern besetzt hat. So folgt man der flotten Handlung, ohne zwischendurch abzuschalten, und die Palette der Charaktere bietet dem Publikum mannigfache Identifikationsmöglichkeiten.
Der jungen Frau Emma (Jasmin Wagner) wird eines Tages der menschenähnliche Haushaltscomputer Oliver 4.0 geliefert, der äußerlich aufs Haar ihrem Freund Oliver gleicht, den sie gerade im Streit aus der Wohnung komplimentiert hat. Einziger Unterschied: Im Gegensatz zu ihrem kiebigen Lover ist der automatische Oliver (Tommaso Cacciapuoti sehr gewandt in einer sorgsam differenzierten Doppelrolle) die Liebenswürdigkeit selbst, offeriert ständig in merkwürdig cooler Weise seine Dienste und zeigt sich in Küche und Wohnzimmer gleichermaßen anstellig. Dann kommt noch Emmas Vater Lea (Jürgen Tarrach) zu Besuch, der gerade mitten in einer Geschlechtsumwandlung steckt und sich in diesem Zustand unter dem Jubel des Publikums gekonnt von Pointe zu Pointe hangelt. Endlich den gewünschten Körper einer Frau zu erlangen, nach dem er sich sein ganzes Leben lang gesehnt hat - kein operatives Opfer wäre ihm dafür zu hoch. Der „echte“ Oliver taucht wieder kurz auf und erweist sich als das alte Ekel, das nichts hinzugelernt hat.
Schliesslich stürmt noch der Kundendiensttechniker Chris (Guido Hammesfahr) auf die Szene, der von der Herstellerfirma ausgesandt ist, um aus der Rolle fallende Haushaltscomputer einzufangen und zur Wartungszentrale zu bringen. Dieser übereifrige Helfer hält nun den wirklichen Oliver für einen ausgeflippten Computertypen und transportiert ihn ab zum Service. Bis sich der Irrtum aufklärt, ist Emma mit ihrem Oliver 4.0 allein, und nun kommt alles, wie es kommen muss: der hochentwickelte Haushaltshelfer mit einer Software, die permanent hinzulernt, nähert sich den heimlichen Erwartungen Emmas immer mehr an, entwickelt regelrechte Gefühle und ist dann sogar auf sexuellem Gebiet („nicht so mechanisch“) ein geradezu idealer Partner.
Vater Lea wird aus der neuesten Geschlechtsüberarbeitung zurückgeliefert, nun vollends erblondet und mit allen Attributen einer etwas fülligen Matrone ausgestattet. Der Ex-Oliver meldet sich noch einmal über Videotelefon, kann aber Emma nicht umstimmen. Oliver 4.0 glänzt dagegen mit seiner „Sprachentwicklungs- und Stimmerkennungssoftware“, und wenn er etwas nicht weiss, dann „fragt er Tante Google“. Trotz aller Perfektion kommt er aber schliesslich an die Empfindungsgrenzen seiner Bauart und entscheidet sich in einer kurzen depressiven Phase, seinen gesamten Speicher „auf Werkseinstellungen zurückzusetzen“ - die völlige Angleichung an ein menschliches Wesen ist ihm nicht gegeben. Aber, mit den Worten von Servicetechniker Chris, „die Frage ist nicht, ob eine Maschine Mensch wird, sondern wann.“ Sie bleibt natürlich unbeantwortet - einstweilen rettet uns Menschen dieser kleine Unterschied.
Das ganze Spiel wird auf der Bühne mit einem hilfreich simplen Bühnenbild, wandlungsfähiger Lichtregie und präzise eingespielten Videoprojektionen flink in Gang gehalten. Das Publikum bedankt sich mit einem wahren Jubelsturm für zwei komödiantisch treffsichere Stunden, die kaum merklich auch ein Quantum Nachdenklichkeit in sich tragen.
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