Der britische Autor Ronald Harwood, im Jahr nach Hitlers "Machtergreifung" in Kapstadt geboren, hat unter anderem das mit einem Oscar gewürdigte Drehbuch für den Film "Der Pianist" verfasst. Aus seiner Feder stammen aber auch Bühnenstücke, die zumeist "Fälle" behandeln, die sich im Schatten des Dritten Reiches zugetragen haben. Dazu gehört auch seine Version des "Falles Cornelius Gurlitt", jenes freundlichen älteren Herrn aus München, der dort in einer Luxuswohnung lebte und irgendwann vom bayerischen Zoll ins Auge gefasst wurde, weil er die Grenze mit einer ungewöhnlich großen Bargeldsumme überquert hatte.. Was daraufhin ans Tageslicht kam, war die krimireife Story einer umfangreichen Gemäldesammlung, die der Vater des Grenzgängers ungeachtet seiner jüdischen Herkunft im Auftrag der Nazis zusammengetragen hatte, um beschlagnahmte Werke der "entarteten Kunst" im Ausland zu Geld zu machen.
Ronald Harwood nähert sich dem "Fall Cornelius Gurlitt" behutsam und ohne vordergründig Partei zu ergreifen. Sein Stück ist weder eine akribische Chronik noch eine Dokumentation. Es ist vielmehr ein Feuilleton über eine Verkettung von Merkwürdigkeiten vor historischem Hintergrund. Damit wird er einer Geschichte gerecht, die bei ihrem Bekanntwerden einen Aufschrei in der Öffentlichkeit auslöste, während heute die Meinung vorherrscht, dass der Justiz und Steuerfahndung dabei auch manche Fehlleistungen unterlaufen sind.
Die Inszenierung von Torsten Fischer mit dem Bühnenbild von Herbert Schäfer und Vasilis Triantafillopoulos startet mit einem originellen Einfall: Anfangs verdeckt eine riesenhohe, olivfarbene Plane die Szene, so dass nur eine alpine Gebirgslandschaft am Horizont zu erkennen ist. Unter dieser vom Wind bewegten Plane taucht dann der Kopf von Gurlitt alias Udo Samel auf, der sich mit weißer Schminke zum Quasi-Clown maskiert. Wenn die Plane dann in die Höhe gezogen wird, blickt der Zuschauer in einen Wohnraum, der zum großen Teil vom Schienenrund einer Modelleisenbahn ausgefüllt wird, auf dem zwei Züge ihre Kreise ziehen. Damit sind zwei Elemente des Alltags von Gurlitt skizziert, der hier als etwas schrulliger, aber durchaus pfiffiger älterer Herr gezeichnet wird, der am liebsten mit seiner Eisenbahn spielt und gelegentlich mit den zahlreichen am Boden stehenden, zur Wand gedrehten Gemälden redet, die er "seine Familie" nennt.
Der Glücksfall dieses Abends ist ohne jeden Zweifel Udo Samel, der dem inzwischen durchaus etwas schwergewichtigen, in die Jahre gekommenen Gurlitt Gestalt und durchgängige Bühnenpräsenz gibt. Im Gespräch mit dem Augsburger Justizbeamten (Boris Aljinović) und seiner Assistentin Lise Schmidt (Anika Mauer) wird der mißliche Hergang der ganzen Geschichte aufgeblättert - in einem Gespräch, das eigentlich mehr einem Verhör gleicht, gegen das sich der Inquirierte vehement und mit verbalen Ausfällen wehrt. Sein Vater Hildebrandt Gurlitt, ein angesehener Kunsthistoriker und Sammler, hatte ihm bei seinem Tode 1956 eine größere Anzahl von Bildern vermacht, die dem Bereich der im Dritten Reich verfemten "Entarteten Kunst" zuzuordnen sind. Kein Geringerer als Joseph Goebbels hatte den Kunstkenner mit jüdischen Vorfahren seinerzeit beauftragt, diese in Museen konfiszierten Werke für die Nazis zu verkaufen. Was davon übrig geblieben war, gehörte nun dem Gurlitt-Sohn, der seinerseits von Zeit zu Zeit einzelne Exemplare davon veräußerte, um seinen Lebensunterhalt zu finanzieren.
Udo Samel gibt diesem zunächst kaum glaublichen Lebenslauf eine einleuchtende Plausibilität. Jeder Schatten eines Unrechtsbewusstseins fällt von ihm ab, und was übrig bleibt, ist die Rolle eines Mannes, der niemandem ein Leid zugefügt hat und stattdessen nur versucht hat , die ihm zugefallenen Schätze zu hüten und vor dem schließlich doch unvermeidbaren Zugriff der Behörden zu bewahren. Bis zum Ableben Gurlitts im Jahre 2014 dauert der Rechtsstreit um den Großteil der Bilder, die dieser schließlich testamentarisch dem Kunstmuseum in der schweizerischen Hauptstadt Bern übereignet hat.
Naturgemäß sind die Personen um Udo Samel eher Randfiguren, die aber die Rolle von Duellpartnern haben. Boris Aljinović ist ein etwas öliger Stichwortgeber, und Anika Mauer wird im Ton gelegentlich etwas zudringlicher, reizt Gurlitt mit Unterstellungen. Gegen Ende liefert noch der ungarische Kunsthändler Andras Weisz (Ralph Morgenstern) ein paar hübsche Pointen zur Rolle des internationalen Kunsthandels in diesem kauzigen Drama.
Insgesamt ein mit viel Beifall bedachter Theaterabend klassischen Stils mit überzeugenden schauspielerischen Leistungen.
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