Kritik
Mal ein ganz neues Stück: Die Komödie "Vier Stern Stunden" des österreichischen Schriftstellers Daniel Glattauer stand gerade im vergangenen September in den Wiener Kammerspielen auf dem Uraufführungs-Programmzettel, und schon bringt das Berliner Renaissance-Theater dieses Opus als Deutsche Erstaufführung auf die Bühne. Regie führt Thorsten Fischer.
Herbert Schäfer und Vasilis Triantafillopoulos stellen eine optisch hinreissende Operettentreppe in die Bühnenmitte, die an der Rampe beginnt und bis weit in den Hintergrund hinaufführt. Ganz vorn zwei Stühle und ein flacher Tisch: alles parat für ein Interview. Denn in diesem Hotel mit langer Tradition der Familie Reichenshoffer finden regelmäßig landesweit geachtete Höhepunkte des Kulturlebens statt, und diese Interviews unter dem Rubrum "Sternstunde" werden von der gebildeten Welt stets mit Aufmerksamkeit verfolgt. Hotelchef David-Christian Reichenshoffer (Markus Gertken) preist zunächst die Vorzüge seines Viersterne-Hotels. Die Journalistin Mariella Brem (Nadine Schori) nimmt ihren Platz ein, greift zum Mikrofon, und da taucht auch schon ihr Interviewpartner auf, der Erfolgsautor Frederic Trömerbusch (Rufus Beck), der mit seiner Gefährtin Lisa (Annemarie Brüntjen) ebenfalls im piekfeinen Hotel nächtigt. Irgendwie steht die "Sternstunde" aber diesmal unter keinem guten Stern: die beiden Interviewpartner beharken sich nach Strich und Faden, und nach dem Abbruch des Interviewrituals schickt sich der irritierte Autor an, auch mit seiner jugendlichen Gefährtin Lisa reinen Tisch zu machen. Beide stellen fest, dass sie eigentlich weder nach Altersklasse noch nach Interessenlage zueinander passen. Auch das Rätsel einer streng in Burka gekleideten Muslimin, die durch die Szene geistert, wird auf überraschende Weise gelöst.
Damit aber nicht genug. Im Gespräch kommen sich nun auf einmal der Hotelchef und die frei operierende Lisa ("Improvisieren! Das lernt man doch bei Ernst Busch!") schrittweise näher, und Hotelerbe Reichenshoffer entdeckt, dass ihm der in Tradition erstarrte Kulturbetrieb eigentlich schon lange auf die Nerven geht. Kaum haben die beiden sich gefunden, da treffen die geläuterte Journalistin Mariella Brem und der ebenfalls nachdenklich gewordene Autor Trömerbusch aufeinander und beginnen sich mit Feingefühl über ihr bisheriges Leben auszutauschen. Dabei entspinnt sich ein ebenso intelligenter wie amüsanter Dialog über die Bedeutung der Vorsilben "ent-" und "ver-" in den beiden Termini "verlassen" und "entlassen". Schließlich stellt sich heraus, dass Mariella dem Autor schon als Kind begegnet und auch in einem seiner Romane verewigt ist. Mit neu erwachtem Interesse der beiden aneinander schließt sich der Kreis der "Vier Stern Stunden". Eine unterhaltsame Story vom Partnertausch über Kreuz, sprachlich glänzend formuliert und in einer sehr gut ausgewählten Besetzung kurzweilig dargeboten.
Dem Premierenpublikum gefiel's: Lang anhaltender Applaus als Lohn für eine gelungene Premiere.
Horst Rödiger
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