Als im Mai 2011 die Nachricht von der Festnahme des IWF-Direktors und französischen Präsidentschaftsanwärters Dominique Strauss-Kahn am New Yorker Kennedy-Flughafen unter dem Vorwurf der versuchten Vergewaltigung eines Zimmermädchens im New Yorker Hotel Sofitel bekannt wurde, war die Reaktion der Öffentlichkeit zunächst ungläubiges Staunen, dann Bestürzung und Kopfschütteln über den Fortgang der Affäre und das Arsenal von Vertuschungsversuchen, mit denen angestrebt wurde, den hochgestellten Delinquenten von der Last der gegen ihn erhobenen Vorwürfe zu befreien. Der amerikanische Autor John T. Binkley hat aus diesem Geschehen sein Bühnenstück „Presidential Suite“ abgeleitet, das 2012 in Edinburgh Premiere hatte. Guntbert Warns und Moritz Staemmler haben den Text ins Deutsche übertragen, und das Ergebnis ist jetzt als Deutsche Erstaufführung im Berliner Renaissance-Theater zu sehen.
John T. Binkley hat nun nicht einfach eine Dokumentation aus der Realvorlage geformt, sondern ein gerüttelt Maß an Kapitalismuskritik und eine Attacke auf Machtmißbrauch und anwaltliche Winkelzüge darin untergebracht. Um nicht selbst in juristische Fallstricke zu geraten, sind die Namen der handelnden Personen verändert, aber es bleibt stets klar erkennbar, wer gemeint ist und wie sich die Handlung entwickelt.
Der Regie von Guntbert Warns gibt Bühnenbildner Momme Röhrbein eine szenische Lösung an die Hand, die aus fünf nebeneinander platzierten Sprecherkabinen in der Art von Zeugenständen besteht, die durch Plexiglasscheiben voneinander getrennt sind. Zwei Drittel des Handlungsablaufs bis zur Pause dokumentieren in konzentrierter Form den Hergang der Entwicklung von der Festnahme des Richard Feynon Chataigne, wie der IWF-Chef und frühere Wirtschaftsminister hier heisst (gespielt von Dietrich Adam). Eine zentrale Rolle fällt seiner Frau, Madame Chataigne (Imogen Kogge) zu, deren Privatschatulle die 3 Millionen Dollar entstammen, mit denen sie versucht, das anklagende Zimmermädchen zum Verzicht auf eine Aussage vor Gericht zu bewegen. Dann ist da noch der gewiefte Anwalt der Chataignes, Jordan Pershing (Heikko Deutschmann), der zunächst seiner Sache ganz sicher ist, die Niederschlagung des Verfahrens erreichen zu können. Das Zimmermädchen Naomi St. Cloud (Maya Alban-Zapata), überaus beredt in seiner Suche nach Gerechtigkeit, ist gleichwohl auf die Ratschläge seiner Anwältin Elizabeth Granger (Johanna Griebel) angewiesen und zögert deshalb, den ihr angebotenen Vertrag über die 3 Millionen Dollar Schweigegeld zu unterzeichnen, die ihre bisher sehr bescheidene Existenz bis ans Lebensende sichern würden.
Man erwartet, dass es nach der Pause mit einer Darstellung von Gerichtsszenen weitergehen würde. Aber hier setzt nun die intelligente, pfiffige Alternative des Autors ein, die ihm die Waffe prinzipiell fundierter Gesellschaftskritik in die Hand gibt, ohne nur moralinsaure Randbemerkungen zu liefern. Der Millionensumme in der einen Schale von Justitias Gerechtigkeitswaage wird in der andere Waagschale eine gleich hohe Summe von seiten einer Stiftung zugunsten verfolgter Frauen entgegen gestellt, die aber im Falle einer wahrheitsgemäßen Aussage des Zimmermädchens vor Gericht fällig wird. Weil die Realität eine solche Wendung nicht zuließ, bezeichnet der Autor das Ganze als ein „modernes Märchen“. Ein Märchen, das in vielfacher Hinsicht nachdenklich macht.
Die Szene lebt vom gekonnt formulierten Text und dem darstellerischen Geschick der abgebildeten Personen. Dietrich Adam spielt die Rolle des entlarvten Vergewaltigers souverän und in der trügerischen Gewissheit, dass der Mitteleinsatz seiner Frau ihn retten wird. Imogen Kogge als Madame Chataigne hält dies anfangs ebenfalls für sicher und wird darin von Heikko Deutschmann als renommierter Anwalt im Brustton der Überzeugung unterstützt. Maya Alban-Zapata als das bedrängte Zimmermädchen Naomi gewinnt viele Sympathien und wird bei ihrer Suche nach Gerechtigkeit von Johanna Griebel als Anwältin ihrer guten Sache zielbewußt angeleitet.
Am Schluß gibts viel Beifall vom Premierenpublikum für eine Semi-Fabel, in der endlich einmal die Macht des Geldes durch eine ebenso hohe Gegensumme neutralisiert wird.
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